Immer häufiger werden auch in der Wirtschaft Umfragen durchgeführt. Manchmal werden diese bei angesehenen Instituten in Auftrag gegeben, manchmal „selbst gestrickt“. In jedem Fall sollte derjenige, der eine Umfrage in Auftrag geben will – und erst recht derjenige, der glaubt, er könne selbst eine Befragung konzipieren – zuvor dieses Buch lesen. Der Autor, Thomas Petersen, arbeitet seit 20 Jahren an dem renommierten Institut für Demoskopie in Allensbach und war Präsident der World Association for Public Opinion Research. Zudem arbeitete er über viele Jahre eng mit Elisabeth Noelle-Neumann, der berühmten Demoskopin und Gründerin des Institutes zusammen, die auch die Idee zu diesem Buch hatte, das sie freilich nicht mehr selbst schreiben konnte.
Ich kannte Noelle-Neumann selbst sehr gut und sie sagte mir immer wieder: „Das Entscheidende bei einer Umfrage ist, dass der Fragebogen klug formuliert wird.“ Leider verstehen viele Auftraggeber von Befragungen nicht, wie ein Fragebogen konzipiert werden soll. Wie man eine Frage stellt, hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Antwort. Dafür gibt der Autor zahlreiche Beispiele.
Ein Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, „balancierte“ Frageformulierungen zu verwenden: Auf die Frage „Würden Sie eigentlich gern berufstätig sein, wenn es möglich wäre?“, antworteten 52 Prozent der nicht berufstätigen Hausfrauen mit „Ja“. Wenn man die Frage nur ein wenig nuancierte („Würden Sie eigentlich gern berufstätig sein, oder machen Sie am liebsten nur Ihren Haushalt?“), dann antworten nur noch 38 Prozent mit „Ja“ (S. 112). Wird die Alternative nicht ausdrücklich genannt, dann ist sie nicht im gleichen Maße im Bewusstsein der Befragten präsent.
Ein Problem ist, dass die Menschen oft nicht so antworten, wie sie wirklich fühlen und denken, sondern so, wie sie meinen, dass sie es tun „sollten“. Fragt man z.B. Personen, die in den letzten drei Jahren ein Auto gekauft haben, nach ihren Motiven und legt ihnen eine Liste vor, dann sagen zwei Drittel, die technischen Daten seien ausschlaggebend gewesen für ihre Entscheidung. Das „Aussehen“ bzw. „Design“ rangiert an vorletzter Stelle von zwölf Kriterien mit nur 36 Prozent (S. 221). Menschen möchten in ihren Kaufentscheidungen rational erscheinen und viele wollen nicht so „dastehen“, als ob sie bei einer so wichtigen Entscheidung wie dem Autokauf vor allem nach dem Äußeren entscheiden.
In Wahrheit spielt das aber eine viel größere Rolle als die Befragten bei einer direkten Fragestellung zugeben. Das findet man durch eine sogenannte „Indikator-Frage“ heraus. Fragt man alle Autokäufer, die sagen, sie hätten sich vor dem Kauf verschiedene Modelle angeschaut, ob ihnen eines der Autos schon beim ersten Anschauen so gefallen habe, dass sie sich sofort ganz spontan entschieden hätten, es zu kaufen, dann bejaht das immerhin jeder Dritte (S. 223). Also: Das Design ist offenbar doch nicht ganz so unwichtig, wie es auf den ersten Blick erschien.
Petersen erklärt dieses Verhalten mit der Theorie der „kognitiven Dissonanz“. „Vermutlich passt es nicht zum Idealbild der meisten Menschen von einer angemessenen Entscheidung, ein derart teures Gebrauchsgut wie ein Auto aufgrund von Äußerlichkeiten zu kaufen. Und weil die meisten Menschen unbewusst bestrebt sind, Unterschiede zwischen dem als richtig Empfundenen und dem tatsächlichen eigenen Verhalten zu verringern, dürften viele ihre eigene Entscheidung nachträglich mit ‚vernünftigen‘ Gründen unterfüttert haben.“ (S. 224). Mit sogenannten Indikator-Fragen kann man diesen Effekt umgehen.
Manchmal muss man indirekt fragen, um herauszufinden, was die Menschen wirklich denken. Und hier bedarf es großer Phantasie beim Formulieren der Fragen. Ein Beispiel: Ein großer Konsumgüterhersteller hat in seinem Angebot zwei Marken von Hundefutter. Mit großen und aufwendigen Marktuntersuchungen versuchte das Unternehmen jahrelang, Hundebesitzer danach einzuteilen, ob sie eher zur Zielgruppe der einen oder der anderen Marke gehörten. Der Erfolg war mäßig. Nach immer wieder neuen Anläufen und Versuchen kam man schließlich zu der Lösung, alle komplizierten Abfragen durch eine einzige einfache Frage zu ersetzen: „Feiern Sie den Geburtstag Ihres Hundes?“ Petersen berichtet: „Wie durch Zauberhand trennte diese Frage die beiden Zielgruppen voneinander wie Öl von Wasser. Praktisch alle, die die Frage mit ‚Ja‘ beantworteten, erwiesen sich als affin zu der einen höherpreisigen Marke, wer mit ‚Nein‘ antwortete, konnte mit größter Sicherheit der anderen Marke zugeordnet werden.“ (S. 225).
Ein anderes Beispiel: Menschen würden sich selbst wahrscheinlich nicht gerne als irrational darstellen. Und doch wissen wir, dass viele Menschen irrational denken und handeln. Auch das kann man nur indirekt herausbekommen. In einem „Emotionstest“ legten die Meinungsforscher den Befragten ein Blatt mit einem Bild vor. Auf dem Bild ist ein Mann abgebildet, der sagt: „Was interessieren mich Zahlen und Statistiken in diesem Zusammenhang. Wie kann man überhaupt so kalt über ein Thema reden, bei dem es um menschliche Schicksale geht?“ Die Frage dazu: „Ich möchte Ihnen einmal erzählen, was sich neulich bei einer Podiumsdiskussion über den Treibhauseffekt und die Klimaveränderungen ereignet hat. Zwei Experten sprachen darüber, was die neuesten Statistiken und Messungen über das Klima sagen und wie viel Schadstoffe wirklich in der Luft vorhanden sind. Plötzlich sprang ein Zuhörer auf und rief etwas in den Saal.“ Die Mehrheit der Befragten gab dem Mann auf dem Bild recht. (S. 234)
Jeder Student, der sich mit Umfragen beschäftigt, weiß, dass man keine Suggestivfragen stellen soll. Der Autor zeigt jedoch, dass es von fast jeder Regel gut begründete Ausnahmen geben kann. Manchmal muss man sogar Suggestivfragen stellen, um herauszufinden, wie Menschen wirklich denken und handeln. Dies gilt insbesondere bei „sozial unerwünschtem Verhalten“. Beispielsweise würde kaum jemand gerne zugeben, dass er sich nur selten die Haare wäscht. Die Menschen würden normalerweise angeben, dass sie sich häufiger die Haare waschen (oder die Unterhose wechseln oder die Zähne putzen) als sie es wirklich tun. Hier bedient sich der Demoskop eines „Tricks“, indem er den Befragten, die sich vielleicht wirklich nur selten die Haare waschen, ein wenig die Angst davor nimmt, dass sie mit ihrem Verhalten krasse Außenseiter seien. Die Frage lautet dann: „Viele Menschen sagen ja, dass es schädlich für das Haar und die Kopfhaut ist, wenn man sich allzu oft den Kopf wäscht. Könnten Sie mir sagen, wann Sie zum letzten Mal Ihre Haare gewaschen haben – einmal abgesehen von heute?“ (S. 212) Der Zusatz: „Viele Menschen sagen ja…“, ist hier entscheidend, weil damit dem Befragten das Gefühl vermittelt wird, er stehe mit seiner „sozial unerwünschten“ Verhaltensweise nicht allein (S. 213).
Heikle Fragen sollten allerdings immer eher am Schluss eines Interviews gestellt werden, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Menschen vor den Kopf gestoßen werden und das ganze Interview negativ beeinflusst wird. So ist es beispielsweise mit dem Fragen nach dem Einkommen, die am Schluss gestellt werden sollte. „Etwaiges einsetzendes Misstrauen kann das Interview nicht mehr nachträglich beeinträchtigen. Verweigert gar jemand danach weitere Auskünfte, bleibt dies folgenlos.“ (S. 71)
Das oberste Gebot bei der Formulierung aller Fragen ist natürlich, dass sie klar, logisch und einfach verständlich formuliert sind. Das klingt banal. Leider wird, wie der Autor an vielen Beispielen zeigt, viel zu oft gegen diese Grundsätze verstoßen. Manchmal kommt man gar nicht auf die Idee, was viele Menschen bereits überfordert: So sind sehr viele Befragte beispielsweise nicht in der Lage, Prozentangaben richtig zu verstehen – man sollte das kaum glauben. Also muss der Frageformulierer beispielweise statt „zehn Prozent“ lieber sagen: „einer von zehn Menschen“.
Demoskopie schult darin, klar, einfach und verständlich zu formulieren. Das gilt auch für dieses Buch. Der Autor meidet ganz konsequent die verquaste Sprache vieler Sozialwissenschaftler. Das Buch ist sowohl für einen Laien, der sich noch nie mit dem Thema befasst hat wie auch für den Experten, der sich jeden Tag damit beschäftigt, von hohem Wert. Das kann man nur von wenigen Büchern sagen. R.Z.