Es klafft eine Kluft zwischen den Wohnwünschen der Deutschen und ihrer tatsächlichen Wohnsituation: Die große Mehrheit möchte im Eigentum wohnen, aber nicht mal jeder Zweite setzt diesen Wunsch in die Realität um. Verena Bentzien vertritt in ihrer Dissertation die These, dass neben historischen Gründen vor allem ökonomische Ursachen für die niedrige Wohneigentumsquote in Deutschland verantwortlich sind. Viele Haushalte sind aus finanziellen Gründen vom Wohneigentumsmarkt ausgeschlossen. Während im englischsprachigen Raum die Erschwinglichkeit von Wohneigentum schon seit mehr als 30 Jahren erforscht wird und die Forschung Grundlage für politische Entscheidungen ist, existieren in Deutschland nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zum Thema. Diese Lücke verkleinert die Autorin, indem sie Erschwinglichkeitsindikatoren bei der Bildung von Wohneigentum in Deutschland entwickelt, berechnet und ihre Bedeutung bewertet.
Dazu gibt Verena Bentzien am Anfang ihrer Arbeit einen Überblick über die historische Entwicklung der Wohneigentumsquote in Deutschland. Sie legt auch die Vor- und Nachteile einer Erhöhung dieser Quote dar. Dabei gelangt sie zu dem Schluss, dass die positiven gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Wohneigentum wie persönliche Unabhängigkeit oder stärkere nachbarschaftliche Verwurzelung mögliche negative Effekte wie Zersiedlung und geringe Flexibilität überwiegen. In einem zweiten Schritt beleuchtet sie die nachfrage- und angebotsseitigen Faktoren, welche die Bildung von Wohneigentum beeinflussen. Anschließend stellt sie verschiedene international verwendete Erschwinglichkeitsindikatoren vor, die von Behörden oder Forschungsinstituten regelmäßig berechnet werden. In Deutschland existieren keine von offizieller Stelle veröffentlichten Indikatoren, sondern lediglich einige, die unregelmäßig von privaten Unternehmen erstellt werden.
Im empirischen Teil ihrer Arbeit entwickelt und berechnet die Autorin auf Grundlage von Mediankaufpreisdaten von Immobilienscout24 und Einkommensdaten des Statistischen Bundesamtes mehrere Indikatoren für die Erschwinglichkeit von Wohneigentum in Deutschland. Als erschwinglich gelten dabei laufende Kosten für den Erwerb, die niedriger sind als ein Drittel des verfügbaren Einkommens. Das Ergebnis: Mit einem durchschnittlichen Einkommen sind Häuser in wirtschaftlichen Agglomerationsräumen unerschwinglich – unabhängig vom gewählten Indikator. Geschosswohnungen sind dagegen in vielen Regionen erschwinglich. Für Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen und ohne Zugang zu zusätzlichen Mitteln (z.B. aus einer Erbschaft) besteht somit keine Wahlfreiheit zwischen Kauf und Miete: 61 Prozent aller deutschen Haushalte wären im Jahr 2009 nicht in der Lage gewesen, ein Haus zum Mediankaufpreis nachhaltig zu finanzieren. Für 43 Prozent wäre auch eine Wohnung zum Medianpreis nicht erschwinglich.
Abschließend schlägt die Autorin einige Maßnahmen zur Ausweitung der Eigentumsquote in Deutschland vor. Dazu zählen unter anderem eine verständlichere Förderstruktur für Wohneigentum, die verstärkte Nutzung von Baulücken sowie – gerade in strukturschwachen Regionen – der vergünstigte Verkauf von Wohnungen im kommunalen Bestand an die Mieter.
Insgesamt gibt die Arbeit einen interessanten und akribischen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung auf dem Gebiet und beeindruckt durch ihre Datenfülle. Über ihren wissenschaftlichen Wert hinaus stellt sie wichtige Informationen für Politik und Wirtschaft zur Verfügung.
B.O.