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tag : Entscheidungen, Risiko
by : MY
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  • Titel: Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft.
  • Autor: Gigerenzer, Gerd
  • Verlag: C. Bertelsmann Verlag, München
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3570101032
  • Seitenzahl: 396
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Rezensent: Dr. Rainer Zitelmann

„Warum fürchten wir, von einem Hai gefressen zu werden, verschwenden aber keinen Gedanken daran, dass wir auf dem Weg zum Strand bei einem Autounfall sterben könnten? Weltweit verlieren jedes Jahr etwa zehn Menschen ihr Leben durch Haiangriffe, während Tausende auf der Straße sterben. Studien zeigen, dass viele Menschen fürchten, was sie wahrscheinlich nie verletzen oder töten wird, während sie fröhlich gefährlichen Verhaltensweisen frönen.“ (S. 94)

Die meisten Menschen, gleichgültig ob mehr oder weniger gebildet, können Risiken nicht richtig einschätzen. Oft werden Risiken als enorm hoch eingeschätzt, wenn Medien spektakulär darüber berichten. Andere Risiken, die in Wahrheit viel höher sind, werden unterschätzt. Dies ist eine der zentralen Thesen dieses sehr lesenswerten Buches.

Ein unterschätztes Risiko ist es, beim Autofahren zu telefonieren oder gar Kurznachrichten zu schreiben. Wussten Sie, dass sich die Reaktionszeit eines 20jährigen, wenn er in ein Handy spricht, auf die eines 70jährigen ohne Handy verlangsamt? Jedes Jahr werden in den USA ungefähr 2.600 Menschen getötet und rund 300.000 verletzt, weil vom Handy ablenkte Fahrer Autounfälle verursachen. (S. 329)

Andere Risiken, über die in den Medien ausführlich berichtet wird, werden weit überschätzt. Erinnern Sie sich noch an den sogenannten Rinderwahn BSE? Was schätzen Sie, wie viele Menschen im Laufe von zehn Jahren in Europa an den Folgen des Rinderwahns starben? Es waren ungefähr 150 – das sind genauso viele, wie es im gleichen Zeitraum tödliche Unfälle durch das Trinken von parfürmiertem Lampenöl gab. (S. 300)

Im Herbst 2009 gab es eine weltweite Hysterie wegen der sogenannten Schweinegrippe und die WHO verbreitete Panik mit der Nachricht, es könnten bis zu 2 Milliarden Menschen infiziert werden. Tatsächlich gab es nicht einmal 20 Todesfälle, während durch die normale Grippe jährlich in Deutschland etwa 10.000 Menschen sterben. (S. 305)

Oft werden Menschen verwirrt, weil relative statt absoluter Risiken kommuniziert werden. Ein Beispiel: Das britische Komitee für Arzneimittelsicherheit gab die Warnung heraus, dass Antibabypillen der dritten Generation das Thromboserisiko verdoppeln, also um 100 Prozent steigern. Viele besorgte Frauen setzten daraufhin die Pille ab, es kam deshalb zu zahlreichen unerwünschten Schwangerschaften und Abtreibungen. Wenn man genauer hinschaut, war die Angst, die die Meldung auslöste, völlig unbegründet. „Die Studien, auf die sich die Warnung stützte, hatten gezeigt, das von je 7000 Frauen, welche die Vorgängerpillen der zweiten Generation genommen hatten, eine Frau eine Thrombose bekam und dass die Zahl sich bei Frauen, die Pillen der dritten Generation nahmen, auf zwei erhöhte. Das heißt, die absolute Risikozunahme betrug nur 1 von 7000, während die relative Risikozunahme tatsächlich bei 100 Prozent lag.“ (S. 17 f.) Die Warnungen vor der „Verdoppelung des Thrombose-Risikos“ führten dazu, dass es im folgenden Jahr in England zu geschätzten 13.000 zusätzlichen Abtreibungen gab. Paradoxerweise bergen Schwangerschaften und Abtreibungen ein größeres Thromboserisiko als die Pillen der dritten Generation. (S. 17) Wer also Berichte darüber liest, wie stark sich das Risiko eines Ereignisses erhöht habe, sollte die Frage stellen, ob – wie in diesem Beispiel – die relative Risikozunahme gemeint ist oder die absolute Risikozunahme.

Menschen nehmen Risiken dann besonders stark wahr, wenn bei einem einzelnen Ereignis sehr viele Personen getötet werden, so wie etwa bei einem Flugzeugabsturz. Fliegen ist die mit Abstand sicherste Art der Fortbewegung, aber viele Menschen haben davor Angst, besonders nach Nachrichten über große Unglücke. Weitaus weniger Angst haben sie vor dem Autofahren, obwohl dabei viel mehr Menschen sterben und schwer verletzt werden als beim Fliegen.

Nach dem Terroranschlag des 11. September entschieden sich viele Menschen, statt dem Flugzeug das Auto zu benutzen. Die Statistik belegt, dass durch diese Entscheidung vieler Amerikaner, in den Monaten nach dem 11. September lieber auf das Auto umzusteigen, zusätzlich (!) 1600 Menschen durch Autounfälle umkamen (S. 22). Insgesamt sterben jährlich allein in den USA 35.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, von denen die meisten jedoch – wenn überhaupt – nur auf den hinteren Seiten des Lokalteils einer Zeitung gemeldet werden, während Flugzeugabstürze meist auf der ersten Seite der Zeitungen Thema sind.

In Deutschland kommt noch hinzu, dass Neuerungen zunächst vor allem Ängste auslösen, weil sich die Menschen nicht mit den Chancen, sondern nur mit den – wirklichen oder oft nur vermeintlichen – Risiken befassen. Das Wissen über diese Themen ist dabei oft erbärmlich gering, wie eine Befragung zu genetisch veränderten Tomaten zeigt. Nur 41 Prozent der Befragten, erkannten, dass folgende Aussage falsch ist: „Gewöhnliche Tomaten enthalten keine Gene, während genetisch veränderte Tomaten welche besitzen.“ 36 Prozent der Befragten stimmten dieser unsinnigen Aussage zu und 23 Prozent zeigten sich unentschieden. Nur zwei von fünf Befragten erkannten, dass das Unsinn ist. (S. 102)

Oftmals ist die Darstellung von Risiken durch bestimmte Kennzahlen das Problem. Der Autor zeigt, dass selbst die meisten Ärzte nicht verstehen, was eine bestimmte Aussage über ein Risiko bedeutet. Das hat oft verheerende Auswirkungen für die Betroffenen, die sich vielfach umsonst Sorgen machen. Ein Beispiel: Nur 9 von 98 Frauen, die positiv im Rahmen eines Mammografie-Screenings auf Brustkrebs getestet wurden, haben tatsächlich Krebs. Das wussten jedoch die meisten Ärzte oder Patienten nicht, weil sie durch irreführende Risikokennzahlen in die Irre geführt wurden. (S. 221) Von 1.000 Frauen, die sich nicht durch eine Mammografie untersuchen ließen, starben rund fünf an Brustkrebs, während es bei Frauen, die sich dieser Untersuchung unterzogen, vier waren. Statistisch betrachtet, beträgt die absolute Risikoreduktion 1 von 1000. „Aber wenn Sie diese Information in einer Zeitung oder Broschüre finden, wird sie fast immer als ‚20-prozentige Risikoreduktion‘ dargestellt.“ (S. 263) Viele Frauen werden unnötigerweise beunruhigt und unterziehen sich Folgeuntersuchungen, die teilweise hohe Risiken bergen.

Gleiches gilt für Männer, die an der Prostatakrebs-Früherkennung teilnehmen. Der Autor belegt, dass nicht zuletzt durch eine irreführende Kommunikation von Nutzen und Risiken solcher Untersuchungen viele Männer unnötigerweise geschädigt werden: 100 Männer, die 50 Jahre oder älter sind, nehmen nicht am Prostatakrebs-Screening (PSA-Test) teil, die gleiche Zahl tut dies. Nach zehn Jahren sind in jeder Gruppe rund 20 gestorben, einer von ihnen an Prostatakrebs. Kein Leben wurde durch die Teilnahme am PSA-Test gerettet, aber rund 20 Männer in der Screening-Gruppe wurden geschädigt. Zwei wurden unnötig operiert oder bestrahlt, was zu Inkontinenz und Impotenz führen kann. 18 hatten falsche Testergebnisse und überflüssige Biopsien und machen sich unnötig Sorgen um eine Krebserkrankung. (S. 251)

Das Buch enthält zahlreiche beeindruckende Beispiele dafür, wie Risiken falsch wahrgenommen und irreführend kommuniziert werden. Es ist eines der faszinierendsten Bücher, die ich in den letzten Monaten gelesen habe. R.Z.



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