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tag : Altlinke
by : MY
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  • Titel: Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken
  • Autor: Mohr, Reinhard
  • Verlag: Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 978-3579066387
  • Seitenzahl: 189
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Rezensent: Dr. Rainer Zitelmann

Das Buch hat mich schon aus persönlichen Gründen interessiert. Denn zwischen dem Leben des Autors und meiner eigenen Biografie (www.rainer-zitelmann.de) gibt es einige Parallelen: Wir sind beide in Frankfurt geboren, Mohr 1955, ich 1957. Wir waren dort Teil der linksradikalen Szene – er schrieb im „Pflasterstrand“ und war „Sponti“, ich gab das „Rote Banner“ heraus und war Maoist. Heute vertreten wir beide politische Meinungen, die sich in manchem ähneln und die von Außenstehenden als konservativ oder libertär bezeichnet würden.

„Einzelne Politiker des eher konservativen Spektrums“, so bekennt der Autor, „vertreten Positionen, die meinen Überlegungen näher kommen als etwa die der Grünen, mit denen ich groß geworden bin. Immer wieder zucke ich selbst vor dieser bitteren Erkenntnis zurück, doch auch wenn mich biografisch sehr viel mit ihnen verbindet – den immer noch übermächtigen moralischen Zeigefinger vertrage ich nicht mehr.“ (S. 80)

Die Grünen wollten immer noch „rebellisch“ erscheinen, obwohl sie es längst nicht sind. „Vor allem Claudia Roth beherrscht diesen ideologischen Spagat, zu dem auch schon mal bittere Tränen der Betroffenheit gehören, Ausfluss der reinsten Empörung über den Lauf der Welt. Der emotionale Appell und die rituelle Zuweisung von Schuld an andere sind ebenso Teil dieser moralischen Inszenierung wie die Selbstgewissheit, über die einzig richtige Lösung zu verfügen. Fragen, Selbstzweifel, Skepsis – Fehlanzeige.“ (S. 81 f.)

Der Autor teilt das Unbehagen und die Skepsis über die grüne Mentalität, die er am Beispiel von Renate Künast beschreibt: „Das erzieherische Motiv steht hier im Vordergrund, eine Art Dauerbelehrung im Klassenzimmer der Republik, die im Stakkato eines Sprechautomaten vorgetragen wird. Humor ist leider nicht einprogrammiert.“ (S. 82)

Mohr wundert sich vor allem darüber, warum bei vielen Grünen kaum ein Lernprozess erkennbar ist. Die Abkehr von alten Überzeugungen, die man vor vielen Jahrzehnten gewonnen hat, wird offenbar als „Verrat“ empfunden. Man hält lieber an alten Glaubensbekenntnissen fest, als sich diesem furchtbarem Vorwurf aussetzen zu müssen.

„Statt offensiv damit umzugehen, dass es zu den Vorzügen des menschlichen Daseins gehört, sich selbst eines Besseren zu belehren, wird immer wieder das notorisch schlechte Gewissen gegen die eigene Einsichtsfähigkeit mobilisiert. Zwar zwingt der Gang der Dinge auch das grüne Bewusstsein, Abstriche von der reinen Lehre, also Kompromisse mit der Realität zu machen, doch im tiefsten Innern will man an den alten Überzeugungen festhalten, und sei es aus Gründen des Seelenheils.“ (S. 84)

Probleme, zum Beispiel im Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken oder Sinti und Roma, werden geleugnet, statt sich Gedanken über sinnvolle Problemlösungsstrategien zu machen. Und schuld an den Problemen seien stets „die Deutschen“, die man – früher wie heute – unter den Generalverdacht stellt, rassistisch und ausländerfeindlich zu sein.

Das politische Koordinatensystem in Deutschland habe sich geändert und der Diskurs sei durch eine „umstandslose Moralisierung beinahe aller politischen Konflikte“ bestimmt, so „dass schon eine pragmatisch-skeptische Einstellung als rechts, reaktionär oder gar rassistisch gilt“. (S. 144) Sei es aber wirklich „progressiv“, die Abschottung einer islamisch geprägten türkisch-arabischstämmigen Unterschicht in deutschen Großstädten zu leugnen oder zu beschönigen? „Erst recht, wenn als Konsequenz der Großteil einer ganzen Generation ohne vernünftige Ausbildung bleibt – genau jene jugendlichen Migranten, die für die Zukunft der Gesellschaft gebraucht werden?“ (S. 144 f.)

Gibt es eine Kontinuität im Leben eines Reinhard Mohr? Ich denke, es ist – bei ihm wie bei mir – der Widerspruchsgeist, der sich damals gegen die konservativen Eliten richtete und heute gegen die rot-grünen Eliten, die Politik und Medien weitgehend beherrschen. Es ist wohl bei ihm wie bei mir der Hang zum freien Denken, der zum Widerwillen gegen die „politische Korrektheit“ führt, die heute die politischen Lager – von der Linken bis zur CDU – weitgehend eint. „Nur wer sich verändert, bleibt sich treu“ – dies möchte ich dem Autor gerne zurufen.

Bei der Lektüre seines Buches spielt sich vor meinem geistigen Auge noch einmal das Leben in der linksradikalen Frankfurter Szene der 70er Jahre ab, das er so eingehend und anschaulich beschreibt. Wahrscheinlich kann aber nur derjenige wirklich darüber schmunzeln und die Feinheiten in seinen Formulierungen verstehen, der diese Zeit miterlebt hat.

Bei der Lektüre des Buches konnte ich mich also an vielen Stellen mit dem Autor identifizieren. Mindestens ebenso interessant fand ich jedoch, dass ich die Unterschiede spüre. Mohr gehörte damals zur „Sponti“-Szene, ich zu den Anhängern der KPD/ML. Er war bei wilden Straßenschlachten dabei, ich marschierte mit den Genossen der KPD/ML in wohlgeordneten Sechserreihen und mit einheitlich kurzem Haarschnitt – auf unseren Plakaten waren Marx, Engels, Lenin, Stalin (!) und Mao abgebildet. Während die Sympathien der Spontis um Mohr bei den anarchistischen Straßenkämpfern in Italien und Frankreich lagen, träumten wir vom Sozialismus, wie er in China und Albanien verwirklicht war.

Und die Unterschiede zwischen Autor und Rezensent setzen sich fort bis heute. „Lockruf der Natur oder Ich will auf die Alm“, lautet die Überschrift des fünften Kapitels. Jeder von uns hat Fluchtgedanken. Mohr träumt von einem ruhigen Leben auf der Alm – ich habe ein Apartment in Manhattan nahe dem Rockefeller-Center gekauft. Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass wir beide Frankfurter heute in Berlin leben – Mohr im Prenzlauer Berg, ich am Kudamm. R.Z.



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