Vielleicht werden Sie es nicht glauben, aber mit 16 Jahren war „Das Kapital“ von Karl Marx meine Lieblingslektüre. Ich studierte in diesem Alter nicht nur sehr gründlich alle 3 Bände des Werkes, sondern auch zahlreiche Sekundärliteratur über „Das Kapital“ und fasste alles auf hunderten Seiten in Schulheften zusammen. Ich gebe zu, dass ich heute allerdings keine Lust dazu verspüre, das gleichnamige dickleibige Buch von Thomas Piketty zu lesen, das heute ein internationaler Bestseller ist. Barack Obama hat es gelesen, Papst Franziskus hat es gelesen, die IWF-Chefin Christina Lagarde hat es gelesen.
Wer, so wie ich, keine Lust hat, ein Buch nur deshalb zu lesen, weil es ein Bestseller ist und weil „alle“ darüber diskutieren, der kann es sich einfach machen und das Büchlein von Horstmann lesen. Horstmann fast das Buch von Piketty knapp zusammen und stellt auch wesentliche Elemente der Kritik dar.
In einer breiten historischen Rückschau über 2000 Jahre Menschheitsgeschichte befasst sich Piketty mit Verteilungsfragen. Er entwickelt eine zentrale „Weltformel“, die besagt, dass die „durchschnittliche Kapitalrendite“ dauerhaft größer sei als die Wachstumsrate der Wirtschaft. Das habe zur Folge, dass das Kapital (gemeint: das Vermögen) schneller wachse als die Wirtschaftsleistung.
Auch Wirtschaftswissenschaftler, die dem linken Piketty politisch nahestehen, wie etwa die Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck und Peter Bofinger, kritisieren seine Thesen und auch die Datenbasis. Ihm wurden zahlreiche faktische Fehler bei den Daten und darüber hinaus Fehlannahmen nachgewiesen. Bofinger teilt zwar Pikettys Kritik an der „Ungleichverteilung“ von Wohlstand, aber er könne „als Wissenschaftler nicht über einen fundamentalen Widerspruch hinwegsehen, nur weil mir die Grundrichtung gefällt“ (S. 77 f.).
Warum wird ein Buch ein Welt-Bestseller, das wissenschaftlich so fragwürdig ist? Es trifft den Nerv der Zeit mit der Kapitalismus- und Reichenkritik. Piketty, der auch die französischen Sozialisten seit vielen Jahren berät und der an der Ausarbeitung der (inzwischen wieder abgeschafften) Millionärsteuer von Francois Hollande beteiligt war (S. 23), fordert eine radikale Umverteilung. Wer mehr als fünf Mio. Euro besitzt, solle 2 Prozent Vermögensteuer bezahlen, aber wer über eine Mrd. Euro besitzt, solle sogar fünf bis zehn Prozent zahlen (S. 73). Das läuft natürlich faktisch auf eine Enteignung heraus. Und das kann Piketty nur dadurch kaschieren, dass er unterstellt, vdie Reichen“ würden aufgrund der besseren Beratung durch Vermögensverwalter Renditen von sechs bis sieben Prozent erzielen (S.68).
Letzteres ist meiner Meinung nach völlig abwegig und es gibt auch keine Belege dafür. Um Renditen von 6-7% zu erzielen, muss man in Deutschland vor Steuern ca. 8-11% erzielen (je nachdem, ob es sich um Zinserträge handelt, die mit 26,5% besteuert werden oder um Immobilieneinkünfte, die in der Spitze mit 47,5% besteuert werden), und das nachhaltig. Nach meiner Erfahrung ist die Vermögensverwaltung durch vornehme Privatbanken etc. meist zwar vornehmer, aber nicht ertragreicher als die für durchschnittliche Anleger. Selbst die Sagen umworbenen Hedgefonds, mit denen Reiche angeblich Super-Renditen erzielen, bringen lange nicht so viel, wie allgemein angenommen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Bloomberg lag die Performance von Hedgefonds 2014 sogar nur bei 1,4 Prozent, womit die Hedgefonds zum sechsten Mal in Folge schlechter abschnitten als der S&P 500. Da jeder einen ETF auf den S & P 500 kaufen kann, müssen einem die Reichen, die ihr Geld trotzdem in Hedgefonds anlegen, eher wegen der vergleichsweise mageren Rendite Leid tun. Warren Buffet hat jedenfalls um eine Mio. Euro gewettet, dass Hedgefonds über 10 Jahre nicht besser abschneiden als der S & P 500.
Piketty legt großen Wert auf die Feststellung, dass er kein Marxist sei. Aber es wird schon einen guten Grund dafür geben, wenn jemand das bei jeder Gelegenheit immer wieder nachdrücklich betonen und wiederholen muss. „Piketty“, so Horstmann, könnte „als neuer Marx mit besserer Datenbasis zunehmend gefeiert werden“ (S. 87). In der Tat sind seine Thesen bei den – traditionell antikapitalistisch eingestellten – intellektuellen Eliten in Europa und den USA auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. R.Z.