Auch wenn man die – eher linke – politische Meinung des Autors dieses Buches nicht teilt, ist dies ein sehr wertvolles Buch, das einen ausgezeichneten Überblick über die soziologische Forschung zu den Eliten gibt.
Hartmann zeichnet die zahlreichen Elitetheorien knapp und übersichtlich nach und verzichtet dabei wohltuend auf „Soziologendeutsch“. Vorherrschend sind heute funktionalistische Elitetheorien. Die zwei Grundannahmen, die alle Ansätze der Funktionseliten teilen, lauten:
- Es gibt in modernen Gesellschaften keine einheitliche herrschende Klasse oder Elite mehr, sondern nur noch einzelne, miteinander konkurrierende, funktionale Teileliten an der Spitze der wichtigen gesellschaftlichen Bereiche.“ (S. 71) Gemeint sind damit Eliten in den Hauptsektoren Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Massenmedien, Wissenschaft, Militär und Kultur.
- Der Zugang zu diesen Eliten steht prinzipiell jedermann offen, weil die Besetzung von Elitepositionen im Wesentlichen nach (jeweils sektorspezifischen) Leistungskriterien erfolgt. Die Leistung hat die Vererbung als entscheidendes Prinzip der Elitenrekrutierung abgelöst. Die Eliten sind folglich sozial auch nicht immer mehr homogen, sondern heterogen.“ (S. 71)
Hartmann teilt diese Annahmen nur teilweise. Er stützt sich stark auf die Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zur Reproduktion der herrschenden Klasse. Neben der Frage der Bildungsqualifikation spielt bei Bourdieu vor allem der „Habitus“ eine zentrale Rolle. Als Habitus bezeichnet Bourdieu ein sozial konstituiertes System von strukturierten und strukturierenden Dispositionen, das durch die Praxis erworben wird und konstant auf praktische Funktionen ausgerichtet ist. Gemeint sind damit die Art, wie sich jemand kleidet, welche Freizeitaktivitäten er bevorzugt, wie er spricht, mit welchen Menschen er verkehrt, welche Sportarten er betreibt, über welches Allgemeinwissen er verfügt, und insgesamt wie selbstsicher er auftritt. Der unterschiedliche Habitus markiert nach Bourdieu die Differenz zwischen den Schichten einer Gesellschaft.
Der Habitus spielt nach Hartmann, der sich hier an die Theorie von Bourdieu anlehnt, vor allem auch eine zentrale Rolle in der Reproduktion der Elite: Diejenigen Individuen, die aufgrund ihrer Sozialisation den Habitus der Elite verinnerlicht haben, sind von vornherein ganz entscheidend im Vorteil gegenüber Individuen, die nicht entsprechend sozialisiert wurden. Der gewünschte Habitus werde, so Hartmann, in deutschen Großunternehmen an vier zentralen Persönlichkeitsmerkmalen festgemacht (S. 141 f.)
- Intime Kenntnis der Dress- und Benimmcodes
- Breite Allgemeinbildung
- „Unternehmerisches Denken“, verbunden mit einer optimistischen Lebenseinstellung
- Souveränität im Auftreten und Verhalten.
Soziale Aufsteiger, so Hartmann, ließen es „fast immer an der erforderlichen oder zumindest erwünschten Selbstverständlichkeit in Auftreten wie Verhalten und damit zugleich auch an der Bereitschaft mangeln, den offiziellen Kanon und die herrschenden Codes auch einmal gekonnt in Frage zu stellen beziehungsweise sie gegebenenfalls einfach zu durchbrechen“. Diese Souveränität, die den spielerischen Umgang mit den Regeln und Codes beinhalte, mache „die entscheidende Differenz zwischen denen, die dazu gehören und denen, die nur dazu gehören möchten“ (S. 142).
Hartmann erklärt die Tatsache, dass sich die Wirtschaftselite vorwiegend aus dem Bürgertum bzw. dem Großbürgertum rekrutiere, mit den – unbewussten – Selektionsmechanismen, bei denen eben der Habitus eine entscheidende Rolle spiele. „Wer in die Vorstände und Geschäftsführungen großer Unternehmen gelangen will, der muss nämlich vor allem eines besitzen: habituelle Ähnlichkeit mit den Personen, die dort schon sitzen. Da die Besetzung von Spitzenpositionen in großen Unternehmen von einem sehr kleinen Kreis von Personen entschieden wird und das Verfahren nur wenig formalisiert ist, spielt die Übereinstimmung mit den so genannten ‚Entscheidern‘, der ‚gleiche Stallgeruch‘, die ausschlaggebende Rolle. Es wird sehr viel weniger nach rationalen Kriterien entschieden, als man gemeinhin vermutet.“ (S. 140)
Dies alles ist für die Eliterekrutierung in Großunternehmen durchaus plausibel. Die Aufnahme in den Vorstand erfolgt im Ergebnis einer Karriere und wird letztlich entschieden durch die Personen, die den Aufsichtsrat besetzen. Insofern spielt ein starkes subjektives Moment eine Rolle – hier ist Hartmann zuzustimmen.
Ganz anders erfolgt jedoch der Ausleseprozess in der Vermögenselite, die ganz überwiegend aus selbstständigen Unternehmern besteht. Letztlich beschreibt Hartmann nur den Rekrutierungsprozess für ein kleines Teilsegment der Wirtschaftselite, nämlich für Top-Manager in Großkonzernen. Die selbstständigen Unternehmer, die gerade in Deutschland eine sehr wichtige Rolle spielen, bleiben dabei weitgehend außen vor. Unternehmer verfügen, wie wir aus der Unternehmerforschung wissen, nicht selten über geringere formale Bildungsvoraussetzungen als Top-Manager und unterscheiden sich auch im Persönlichkeitstypus von diesen. Während beispielsweise ein gewisses Maß an Anpassungsbereitschaft eine wesentliche Fähigkeit ist, um in das Top-Management eines Unternehmens aufzusteigen, sind selbstständige Unternehmer nicht selten unangepasste Menschen, die sich vielleicht sogar deshalb für die berufliche Selbstständigkeit entschieden haben, weil sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur oder ihrer formalen Bildungsvoraussetzungen nur geringe Chancen gehabt hätten, in einem Großunternehmen Karriere zu machen und in die Vorstandsetage aufzusteigen. Richtet man den Blick nicht ausschließlich auf die angestellten Manager von Großkonzernen, dann relativiert sich die These von der sozialen Abgeschlossenheit.
Trotz dieser Einwände: Das Buch ist eine sehr wertvolle Einführung für jeden, der sich mit der Soziologie der Eliten vertraut machen möchte. Es beginnt mit der Darstellung klassischer Elitetheorien von Gustave Le Bon, Gaentano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels. Es stellt die Theorien der „Power-Elite“ (Mills) und die Arbeiten von Bourdieu ausführlich vor. Ein eigenes Kapitel ist dem Thema gewidmet, wie sich die Eliterekrutierung und die nationalen Bildungssysteme in Frankreich, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Japan und Deutschland unterscheiden. R. Z.