Als jemand, für den der Umgang mit Sprache Beruf und vielleicht sogar Berufung ist, tut es mir oft weh, wenn ich sehe, wie mit Sprache umgegangen wird. Seit Jahren ärgere ich mich über den gedankenlosen Gebrauch von Wörtern, die plötzlich – scheinbar – aus dem Nichts auftauchen und dann von jedermann geradezu inflationär gebraucht werden.
Skeptisch bin ich vor allem dann, wenn ich auf einmal überall ein Wort höre, das es vor einigen Monaten oder Jahren entweder noch gar nicht gab oder aber das kaum jemand verwendet hat und dem man sich dann auf einmal selbst mit größter Mühe nicht mehr entziehen kann – und sich schließlich sogar irgendwann dabei ertappt, es selbst zu verwenden.
Die Lektüre des vorliegenden Buches von Burkhard Spinnen war deshalb für mich eine Freude, weil ich mich nun in meinem Ärger nicht mehr alleine fühle. Spinnens sprachkritische Kolumnen, ursprünglich für das HANDELSBLATT geschrieben, spießen viele Wörter auf, über die ich mich fast täglich ärgern muss.
Ich meine damit Wörter wie „angedacht“, „zeitnah“, „spannend“, „pro-aktiv“ oder „nachhaltig“. Früher waren Krimis spannend, heute ist es die Berufung zum Finanzvorstand eines börsennotierten Unternehmens. Früher genügte es, aktiv zu sein, heute müssen wir „proaktiv“ sein. Dem Autor des Buches geht es wie mir: „Ich vermute, proaktive Menschen bersten geradezu vor Aktivität. Wenn sie zum Beispiel eine Viertelstunde still sitzen müssen, ohne sich dabei eine neue Marketingstrategie für die Vermittlung eines proaktiven Aknemittels an proaktive, aber schlimm verpickelte Jugendliche ausdenken zu dürfen, kippen sie wahrscheinlich um.“
Früher bat man darum, eine Sache bald, rasch, schnell oder schnellstmöglich zu erledigen. Das genügt heute nicht mehr. Es hat „zeitnah“ zu geschehen. Und wie steht es mit „nachhaltig“ oder Nachhaltigkeit? Der Autor beobachtet: „Wer heute vor Politikern oder vor Wählern oder vor beiden öffentlich oder schriftlich punkten will, der beschwört auf Deibel komm raus Nachhaltiges und Nachhaltigkeit, auch wenn es sich dabei weder um Forstwirtschaft oder Energiepolitik… handelt… Längst ist ja hierzulande der Umweltschutz in vielen Bereichen des Alltags zu einer Art Ersatzreligion geworden, deren Glaubenssätze und Glaubensworte man gerne lautstark nachbetet, ohne sich gleich an alle ihre Gebote zu halten.“
Ich beobachte seit Jahren, wie bestimmte Modeworte zunächst nur in einem bestimmten intellektuellen, zeitgeistigen Milieu verwendet werden, bevor sie dann auch Einzug in weitere bürgerliche Kreise und schließlich auch in die Wirtschaftssprache finden. Wirtschaftsleute sind manchmal etwas unsicher in ihrer Position in der Gesellschaft, fühlen sich angegriffen und missverstanden und finden daher Sicherheit in der Verwendung von Begriffen aus gesellschaftlich besser akzeptierten Milieus.
Vielleicht ärgern Sie sich ja nicht über die gleichen Worte wie der Autor des Buches oder wie ich. Aber das Buch regt dazu an, über den eigenen Sprachgebrauch nachzudenken (nachdenken finde ich übrigens besser als anzudenken oder „angedacht“). Ich finde es jedenfalls sehr spannend, über den nachhaltigen Gebrauch von Sprache nachzudenken und werde meine Mitarbeiter bitten, die Inhalte des Buches pro-aktiv zu implementieren. Für eine Firma, die gut aufgestellt sein will, empfiehlt sich dies bestimmt.