Ich habe schon viele Biographien über Warren Buffett gelesen – aber dies ist ohne Zweifel nicht nur die umfangreichste, sondern die beste Biographie. Sie enthält mehr Informationen über das Leben des erfolgreichsten Investors aller Zeiten, da Buffett – im Unterschied zu anderen Biographen – der Verfasserin in zahlreichen persönlichen Gesprächen Auskünfte gab. Die Biographie ermöglicht erstmals einen genauen Blick nicht nur auf Buffetts Investmentphilosophie, sondern auch auf sein privates Leben und seine Persönlichkeitsstruktur.
Buffett wuchs auf als Sohn eines dezidiert konservativen Politikers der Republikaner, dem es vor allem wichtig war, seinen Kindern zu vermitteln, dass sie sich nach ihrem eigenen inneren Wertesystem orientieren sollten und nicht so sehr nach den allgemeinen Meinungen der Gesellschaft. „The big question about how people behave is whether they’ve got an Inner Scorecard or an Outer Scorecard. It helps if you can be satisfied with an Inner Scorecard. I always pose it this way: I say: ‚Lookit. Would you rather be the world’s greatest lover, but have everyone think you’re the world’s worst lover? Or would you rather be the world’s worst lover but have everyone think you’re the world’s greatest lover?'“ (S.32).
Buffett half dieses „innere Koordinatensystem“, sich eine einzigartige Unabhängigkeit von Investmentmoden zu bewahren. Diese wurde immer wieder auf die Probe gestellt – insbesondere Ende der 90er Jahre. Buffett, dessen Investmentfonds über viele Jahre und Jahrzehnte den allgemeinen Aktienindex deutlich geschlagen hatte, galt in dieser Zeit als „Ehemaliger“. Die Medien und die Investmentgemeinde sahen in ihm einen alten Mann, der die neue Zeit, welche durch Internet und „New Economy“ bestimmt sei, nicht verstanden habe. Buffetts Fonds performte in der Zeit der Internet-Blase schlechter als viele andere Fonds, die auf New Economy-Aktien setzten. Er blieb jedoch seinem Grundsatz treu, nur in solche Dinge zu investieren, die er auch verstand. Obwohl er schon damals eng mit Bill Gates befreundet war, räumte er ein, nichts vom Internet und von neuer Technologie zu verstehen – und deshalb investierte er nicht in diese Aktien.
Er weigerte sich sogar über viele Jahre, einen Computer zu kaufen, weil er der Meinung war, er könne alles ebenso gut im Kopf ausrechnen. Selbst das Angebot von Bill Gates, ihm die hübscheste Mitarbeiterin von Microsoft zu schicken, um ihm die Funktion eines PCs zu erklären, konnte ihn nicht umstimmen. Dass er schließlich doch einen PC kaufte, lag ausschließlich daran, dass er über das Internet sein Lieblingsspiel Bridge spielen konnte. Er bestand zunächst eindringlich darauf, keine andere Funktion in dem PC zu installieren.
Was ist das Geheimnis des Erfolges von Buffett? Bei einem Abendessen in einer Runde erfolgreicher Personen fragte Bill Gates Sr., der Vater von Bill Gates: „What factor did people feel was the most important in getting to where they’d gotten in life?“ Warren Buffett antwortete: „Focus“. Und Bill Gates sagte das Gleiche. (S.623) Die über Jahrzehnte hinweg fast ausschließliche Fixierung auf ein einziges Ziel, nämlich erfolgreich zu investieren, ist sicherlich eines der Geheimnisse von Buffett. Seine Frau sagte einmal, er brauche nur eine Glühbirne und ein Buch in der Hand, um glücklich zu sein.
Obwohl finanzieller Erfolg bereits sehr früh das bestimmende Ziel in Buffetts Leben war, wurde dies keineswegs aus dem Bestreben gespeist, ein Luxusleben zu führen und teure materielle Güter zu erwerben. Im Gegenteil. Buffett wohnt bekanntlich seit Jahrzehnten immer noch in dem gleichen bescheidenen Haus, isst sehr viel lieber Hamburger als in Feinschmecker-Restaurants und trinkt lieber Coca Cola als Champagner. Was also treibt jemanden wie Buffett an? Im Kern ist es wahrscheinlich das Bestreben, seine überlegene Intelligenz zu beweisen. Der finanzielle Erfolg seiner Investments ist nichts anderes als der Beleg für seine überlegene Intelligenz. Wahrscheinlich hätte Buffett ebenso gut Schach-Weltmeister oder Wissenschaftler werden können.
Deshalb traf es ihn natürlich ganz besonders hart, dass Vertreter der Theorie vom effizienten Kapitalmarkt (efficient-market hypothesis EMH) immer wieder versuchten, den Beweis zu führen, dass angeblich eine dauerhafte Outperformance am Aktienmarkt theoretisch nicht möglich sei und wenn dann eben nur das Ergebnis eines Zufalls – so wie es auch Personen gibt, die mehrmals im Lotto große Summen gewinnen. Diese Theorie musste Buffett bis ins Mark treffen, denn sie stellte all das infrage, wofür er lebte und arbeitete (vgl. S.527 ff.) In dem Buch wird deshalb auch ausführlich geschildert, wie er sich mit den Annahmen dieser Theorie kritisch auseinandersetzte.
In der Biographie wird deutlich, dass Buffett die Integrität und Ehrlichkeit im Geschäftsleben wichtiger waren als alles andere. Die genaue Einhaltung nicht nur rechtlicher, sondern auch ethischer Normen, war ihm ganz besonders wichtig. Man wird auch hier einen Zusammenhang zu seinem bestimmenden Lebensmotiv feststellen können, nämlich mit den Investment-Erfolgen seine überragende Intelligenz zu beweisen. Wären die Erfolge mit Tricks und unlauteren Methoden zustande gekommen, wären sie aus seiner Sicht nichts Wert gewesen. Ein einwandfreies Verhalten ist dabei mehr als nur das Beachten gesetzlicher Vorgaben. Buffett propagierte einen strengen „front-page-test“, der besagte: „I want employees to ask themselves whether they are willing to have any contemplated act appear the next day on the front page of their local paper, to be read by their spouses, children, and friends, with the reporting done by an informed and critical reporter.“ (S.604).
Als er – eher unfreiwillig – nach einem Riesen-Skandal bei Salomon vorübergehend die Rolle des CEOs übernehmen musste, gab er seinen Mitarbeitern die Parole aus: „Lose money for the firm, and I will be understanding. Lose a shred of reputation for the firm, and I will be ruthless.“ (S.603).
Aus der Rückschau betrachtet erscheint die Geschichte der Buffett-Investments als andauernde Erfolgsstory. Doch in Wahrheit ist Buffett ein Meister des permanenten Krisenmanagements. Keineswegs waren alle seine Investments sofort erfolgreich. Oft entdeckte er kurz nach einer Investition erst die damit verbundenen besonderen Probleme und Herausforderungen. Aber er nahm diese Herausforderungen an, konzentrierte sich mit all seiner Aufmerksamkeit auf das zu lösende Problem – und löst es auf eine oft überraschende Art. Neben seiner überragenden Intelligenz, der inneren Unabhängigkeit seines Urteils und seiner ausschließlichen Fokussierung auf ein einziges Ziel ist wahrscheinlich die besondere Problemlösungskapazität eines der Geheimnisse von Buffetts ungewöhnlichem Investment-Erfolg. Die zahlreichen Versuche, ihn zu kopieren, scheiterten wahrscheinlich meist daran, dass es eben kein besonderes „Investment-Rezept“ war, das ihn erfolgreich machte, sondern eben die Kombination dieser Persönlichkeitsmerkmale.