Es nicht lange her, dass der größte Finanzbetrug der Menschheitsgeschichte aufgeflogen ist: Bernhard Madoff prellte seine Anleger um über 60 Mrd. USD und ist dafür inzwischen zu 150 Jahren Haft verurteilt worden. Der Titel dieses überaus interessanten Buches ist vielleicht etwas irreführend, denn es handelt sich weder um eine Biographie über Madoff noch um eine chronologische Darstellung seines Jahrhundertbetruges. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Opfer des Finanzbetrügers. Es wird eingehend berichtet, wie sie Madoff kennen und vertrauen lernten – um schließlich einen erheblichen Teil oder sogar ihr ganzes Vermögen zu verlieren.
Madoffs System war von Anfang an ein Schneeballsystem, und deshalb konnte er „großzügig“ Provisionen an die Vermittler der Feeder Funds austeilen – Provisionen, die vier- oder fünfmal höher waren als bei der Konkurrenz. Formell präsentierte er sich nicht als Fondsverwalter, sondern als Anlageberater für Hedgefonds. Er erhob also auf die verwalteten Fonds keine Verwaltungsgebühren. „Weil er vor allem ein Broker-Dealer war, behauptete er, sich mit den Börsenhandelsgebühren zu begnügen, was plausibel erschien. Dafür musste er sich nicht als Fondsverwalter registrieren lassen und verzichtete auf die 2 + 20, die direkt in die Taschen der Verkäufer wanderten… Es genügte, wenn sie einen Feeder Fund gründeten, der Madoff als Eintrittspforte diente, und ihm anschließend die angelegten Gelder zufließen ließen.“ (S.39).
Madoff versprach, anders als andere Betreiber von Schneeballsystemen, keine völlig unrealistischen und überhöhten Renditen. Sein „Anlagen“ sollten „lediglich“ regelmäßig acht bis zwölf Prozent erzielen, aber mit einer extrem geringen Volatilität. Damit traf er genau den Nerv seiner – überwiegend extrem vermögenden – Klientel, die weniger auf spektakuläre Renditen als auf möglichst sichere Anlagen aus waren.
Bezeichnend ist, dass er sich gegenüber allen Anlegern über die genauen Methoden ausschwieg, mit denen er dieses Ziel erreichte. Wenn er danach gefragt wurde, erklärte er, dies sei ein Geheimnis, das er nicht offenbaren könne. Warum wurden die Menschen bei einer solchen Intransparenz nicht misstrauisch? Vor allem erschien Madoff als eine überaus respektable Persönlichkeit – schließlich war er sogar (Mit)gründer der Nasdaq und jedermann wusste von seinen exzellenten Beziehungen zur Börsenaufsicht SEC, die ihn acht mal gründlich (?!) unter die Lupe genommen hatte.
Der Erfolg war der Vater des Erfolges. International renommierte Banken, angesehene Persönlichkeiten und Stiftungen arbeiteten mit ihm zusammen – und scheinbar hielt er über ein Jahrzehnt, was er versprach. Warum also einem solchen Menschen misstrauen?
Zu seiner Strategie gehörte es, sich rar zu machen. Wer bei ihm investieren wollte, musste sich darum bewerben. Ihm ging der Ruf voraus, keineswegs jeden Investor zu akzeptieren, der ihm sein Geld anbot. So waren die meisten Anleger froh, dass ihnen überhaupt die „Ehre“ zuteil wurde, bei Madoff investieren zu dürfen.
Zu seinen Opfern gehörten vor allem viele Persönlichkeiten aus der jüdischen Gemeinschaft, so etwa der Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel und dessen Foundation for Humanity. Die Stiftung hat 15,2 Mio. USD verloren, fast ihr gesamtes Kapital. Elie Wiesel selbst hat durch den Betrug ungefähr 22 Mio. USD eingebüßt, was praktisch sein gesamtes Vermögen darstellt (S.101).
So wie Wiesel hatten die meisten Menschen und Institutionen Madoff zunächst einmal kleinere Beträge anvertraut. Da er – scheinbar – stets hielt, was er versprach und selbst in schlechten Börsenjahren stetige Erträge mit sehr geringerer Volatilität erzielte, vertrauten sie ihm immer mehr an – und schließlich ihr gesamtes Vermögen.
Was sind die Lehren, die aus dem Fall zu ziehen sind? Die meisten Politiker sehen im Fall Madoff einen weiteren Beleg dafür, dass das Finanzsystem noch stärker reguliert werden muss. Die SEC, die in diesem Fall völlig versagt hat, müsse mit mehr Macht ausgestattet werden. Der Autor sieht dies anders. Die SEC oder andere staatlichen Behörden werden kaum in der Lage sein, Betrüger wie Madoff zu „entdecken“ und ihnen das Handwerk zu legen. Seine Folgerung lautet vielmehr: „Als Erstes darf man sich nicht mehr auf das Etikett ‚SEC’ verlassen; stattdessen muss die Due Diligence verstärkt werden. Dann müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Interessenkonflikte zwischen den Anlagefirmen und ihren Kunden auszuräumen; vor allem aber müssen die Funktionen des Fondsverwalters auf der einen Seite und dem Verwahrer, bei dem das Kapital deponiert ist, sowie dem Broker auf der anderen Seite getrennt werden.“ (S.174).
Neben diesem Punkt zieht der Autor vor allem zwei Lehren aus dem Jahrhundertbetrug: Erstens sollten Anleger besser diversifizieren und niemals alle Eier in einen Korb legen, wie es viele Investoren bei Madoff gemacht hatten. Zweitens solle man sich bei Investitionen nicht von der Persönlichkeit eines Verwalters leiten lassen. „Welches Ansehen auch immer ein Mensch oder eine Institution genießt – man darf niemandem a priori vertrauen, auch nicht, wenn er 70 Jahre alt und seit 48 Jahren im Geschäft ist.“ (S.171).
Die wichtigste Lehre aus Sicht des Rezensenten ist: Traue niemandem, dessen Anlagestrategie völlig unverständlich ist und der die Transparenz scheut wie der Teufel das Weihwasser. Das Gegenbeispiel zu Madoff ist Warren Buffett, der für seine Anleger ebenfalls kontinuierlich erstaunlich hohe Renditen erzielte. Aber Buffett legt stets sehr großen Wert darauf, seine Anlagestrategien verständlich zu machen und steht für ein Höchstmaß an Transparenz.
Bei Madoff verstand hingegen im Grunde niemand, wie man einen solchen Erfolg erzielen konnte – aber weil alle ihm glaubten, glaubte man ihm selbst. Kaum einer traute sich, zu sagen „Der Kaiser ist nackt“. Und auf jene wenigen, die dies frühzeitig sagten, wollte man nicht hören, vielleicht auch weil die Überbringer dieser Botschaft selbst ein wenig seltsam anmuteten, wie der Autor am Beispiel von Harry Markopolos zeigt, dessen Memorandum für die SEC aus dem Jahre 2005 inzwischen immer wieder als Beleg dafür zitiert wird, dass man schon früher hätte misstrauisch werden können.