Der Autor dieses Buches, Volkswirt und stellvertretender Chefredakteur des MANAGER MAGAZINS, warnt in seinem Buch vor den Gefahren einer kommenden Inflation. Damit steht er nicht alleine. Zwar zeigen die Kurse von inflationsindexierten Anleihen, dass die meisten Investoren nicht von inflationären Gefahren ausgehen, doch es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Volkswirten und Buchautoren, die dies anders sehen.
Interessant finde ich insbesondere die historische bzw. sozialpsychologische Erklärung dafür, warum in Deutschland die Gefahr einer Inflation sehr viel stärker gesehen wird als in den USA. „Während die Erinnerung an die deflationäre Weltwirtschaftskrise in Deutschland von der darauf folgenden Nazizeit und den beiden Inflationsperioden bis heute überdeckt wird, ist in den USA die Erinnerung wach… Kein Wunder, dass sich US-Ökonomen in besonderem Maße den Deflationen und ihrer Vermeidung widmen. Fed-Chairman Ben Bernanke gründete seine wissenschaftliche Karriere auf die Auseinandersetzung mit der Deflation und Depression der dreißiger Jahre.“ (S.38).
Angesichts ihrer Geschichte sei also „die Obsession der Amerikaner verständlich“, doch in ihrem Bestreben, eine Wiederholung der Geschichte auf jeden Fall zu verhindern, hätten sie die inflationären Gefahren völlig aus dem Auge verloren.
Der Autor belegt, dass die Verschuldung der Staaten heute viel höher sei als gemeinhin angenommen – und dass es angesichts der kommenden demografischen Probleme auch keine realistische Perspektive für einen Schuldenabbau auf „normale“ Weise gebe. „Die in den vergangenen Jahrzehnten verantwortungslos aufgetürmten Schulden addieren sich zu den zusätzlichen Lasten aus der Krise und ungelösten demografischen Problemen. In vielen Staaten würde praktisch der gesamte Staatshaushalt für Rente, Gesundheit und Zinsen ausgegeben. Für alles Übrige – Infrastruktur, Verteidigung, Kultur, auch für einen Ausbau der Bildung oder die Förderung junger Familien – wäre kein Geld mehr da.“ (S. 85f.).
Angesichts der dramatischen Verschuldung der Staaten, so Müller, gebe es theoretisch nur vier mögliche „Lösungen“:
1. Aus den Staatsschulden herauswachsen.
2. Kalte Sanierung durch Steuererhöhung und
2. 1 Ausgabenkürzung.
3. Inflation.
4. Staatsbankrott.
Die erste Variante sei heute kaum praktikabel, da das Wachstum durch die Folgen der Finanzkrise, die Rohstoffknappheit und den demografischen Wandel in den Industrienationen nicht ausreichend sein werde. Die zweite Variante sei in ihrer reinen Form unwahrscheinlich, da sie das politische System und den sozialen Zusammenhalt extrem strapaziere. Auch der Staatsbankrott sei nur die allerletzte Variante, wenn alle anderen Möglichkeiten gescheitert seien, da sich ein Land damit vom internationalen Kapitalmarkt abkoppeln würde. Der Autor hält in den kommenden Jahren eine Mischung der Varianten 2 und 3, also steigende Steuern und gekürzte Ausgaben bei höheren Inflationsraten, für wahrscheinlich (S.79).
Eine Ursache für die Inflation sei die extreme Ausweitung der Geldmenge seit der Jahrtausendwende. Während das nominale Bruttoinlandsprodukt zwischen 1996 und 2008 in den wichtigsten westlichen Volkswirtschaften (USA, Euroland, Japan, Großbritannien und Kanada) um 60 Prozent zugenommen habe, sei die Geldmenge um 110 bis 130 Prozent gestiegen. Es sei unwahrscheinlich, dass die Notenbanken die überschüssige Liquidität rechtzeitig wieder aus dem Markt herausnähmen.
„Da die Defizite und die aufgelaufenen Schulden rasch weiter steigen, liegt die Vermutung nahe, dass die Regierungen eben das tun werden, was Staaten schon seit alters her getan haben, wenn die fiskalische Situation allzu eng wurde: Geld drucken.“ (S.158) Es sei auch unwahrscheinlich, dass sich die Notenbanken dauerhaft des politischen Drucks erwehren könnten.
In den vergangenen Jahrzehnten, so die Argumentation des Autors, hätten zwei Entwicklungen inflationsdämpfend gewirkt: Die Preise für Energie und Nahrungsmittel waren seit den siebziger Jahren des 20.Jahrhunderts im historischen Vergleich niedrig. Und die demografische Entwicklung der westlichen Gesellschaften durchlief eine äußerst günstige Phase; in Europa und Nordamerika stieg der Anteil von Menschen im produktiven Alter. „Beide Entwicklungen kehren sich derzeit um: Die Rohstoffmärkte werden enger. Und das Angebot Hochqualifizierter sinkt in den reichen Volkswirtschaften. Beide Faktoren begrenzen das Wachstum, zumindest für eine ausgedehnte Übergangszeit.“ (S.159):
Das bestehende Weltwährungssystem sei in hohem Grade instabil und in dieser Form nicht überlebensfähig. Der Autor prüft verschiedene mögliche Alternativen und gelangt zu dem Schluss, zu dem auch einige andere Autoren gelangen, die eine Inflation für wahrscheinlich halten: „Ich halte es für möglich, dass es einen teilweisen, aber unvollständigen Ausweg gibt: Gold. Die Schwellenländer könnten vom heutigen informellen Dollarstandard zu einem informellen Goldstandard übergehen. Die Schwäche ihrer Institutionen würden sie durch den Aufbau von Goldreserven kompensieren.“ (S. 127). Erste Anzeichen in diese Richtung gebe es bereits. So ließ die chinesische Regierung 2009 verlauten, sie habe eine größere Menge Gold gekauft, nämlich 454 Tonnen seit 2003, und dafür einen (kleineren) Teil der gigantischen Dollarreserven eingesetzt. Indiens Notenbank kaufte im Herbst 2009 gleich 200 Tonnen des Edelmetalls vom Internationalen Währungsfonds. „Ich kann mir gut vorstellen, dass es gerade erst richtig losgeht: dass der Goldpreis Höhen erreichen wird, die bislang als unvorstellbar galten – dass ein globales Goldfieber einsetzt… Ich vermute, dass wir den Beginn eines neuen Goldstandards erleben, eines informellen Arrangements, anders als seine Vorläufer im 19.Jahrhundert – aber mit deutlicher Signalwirkung für andere, private Goldkäufer.“ (S.128).
Der Autor kritisiert zu Recht die Politik der Notenbanken, die die eigentlich Schuldigen an der Finanzkrise sind. Die Krise wird nun mit genau den Mitteln bekämpft, die zu ihr geführt haben – mit der Flutung von Liquidität und extrem niedrigen Zinsen. Damit werden die Ursachen dafür gelegt, dass die Krise auf einem höheren Niveau wieder ausbricht. Und dann bliebe als „Lösung“ letztlich nur noch die Inflation.