Als ich eine Rezension zum Buch von Gregory Zuckerman „The greatest trade ever“ veröffentlichte und als das mit großem Abstand beste Buch zur Finanzkrise bezeichnete, machte mich ein Leser auf das Buch von Michael Lewis „The Big Short“ aufmerksam, das dem Buch von Zuckerman meiner Ansicht nach in der Tat in keiner Weise nachsteht. Manche Leser kennen den Autor vielleicht, weil sie dessen Klassiker „Liar’s Poker“ gelesen haben.
In seinem aktuellen Buch geht es um die gleiche Thematik wie in dem Buch von Zuckerman, und auch die Personen, die hier beschrieben werden, sind zum Teil die Gleichen.
Der Verfasser erklärt genau, wie das Verbriefungssystem funktionierte, wie die CDOs strukturiert wurden und wie ein CDS funktioniert. Daneben schildert er jedoch vor allem ausführlich jene Menschen, die entweder Teil der Subprime-Verbriefungsindustrie waren oder die diese mit großem Argwohn verfolgten und nach Möglichkeiten suchten, ihre Einsicht in das unvermeidliche Platzen der Hauspreis-Blase zu Geld zu machen.
Für die Vertreter der Rating-Agenturen hat er nicht viel Sympathie. „The ratings agency people“, so zitiert er einen Protagonisten, „were all like government employees“ (S.156). “Collectively they had more power than anyone in the bond markets, but individually they were nobodies.” Eisman, einer der Helden dieses Buches und ein scharfer Kritiker, meint über die Analysten der Ratingagenturen: “The smartest ones leave for Wall Street firms so they can help manipulate the companies they used to work for. There should be no greater thing you can do as an analyst than to be the Moody’s analyst. It should be, ‘I can’t go higher as an analyst’. Instead it’s the bottom! No one gives a fuck if Goldman likes General Electric paper. If Moody’s downgrades GE paper, it is a big deal. So why does the guy at Moody’s want to work at Goldman Sachs? The guy who is the bank analyst at Goldman Sachs should want to go to Moody’s. It should be the elite.” (S.156).
Eine der besten Passagen in dem Buch behandelt die Sprache der Verbriefungsindustrie, die der Verschleierung statt der Beschreibung der Sachverhalte diente. „Bond market terminology was designed less to convey meaning than to bewilder outsiders. Overpriced bonds were not ‘expensive’; overpriced bonds were ‘rich’, which almost made them sound like something you should buy. The floors of subprime mortgage bonds were not called floors – or anything else that might lead the bond buyer to form any sort of concrete image in his mind – but tranches. The bottom tranche – the risky ground floor – was not called the ground floor but the mezzanine, or mezz, which made it sound less like a dangerous investment and more like a highly prized seat in a domed stadium. A CDO composed of nothing but the riskiest, mezzanine layer of subprime mortgages was not called a subprime-backed CDO but a ‘structured finance CDO’.” Ein Bond, der ausschließlich aus Subprime-Darlehen bestand, wurde nicht etwa als subprime mortgage bond bezeichnet, sondern als ABS (asset-backed security). „When Charlie asked Deutsche Bank exactly what assets secured an asset-backed security, he was handed lists of abbreviations and more acronyms – RMBS, HELs, HELOCs, Alt-A – along with categories of credit he did not know existed (‚midprime’).” (S.126 f.) A war beispielsweise die Bezeichnung für die kreditwürdigsten Darlehensnehmer, Alt-A stand für “Alternative A-paper”, also für eine „Alternative“ zu hoher Kreditwürdigkeit. Man erinnert sich hier unwillkürlich an das „Neusprech“ bei George Orwell, das dazu diente, die Realität zu verschleiern.
Eine kleine Gruppe von Personen („more than ten, fewer than twenty“) durchschaute das System und versuchte, mit dieser Einsicht Geld zu verdienen. Diese Personen werden sehr ausführlich geschildert. Es handelt sich um eigenwillige und zum Teil wohl auch eigenartige Personen. Aber die Tatsache, dass man auch von der Persönlichkeitsstruktur „sehr viel anders“ ist als die breite Masse, ist wohl eine wichtige psychologische Voraussetzung, um sich gegen einen übermächtigen Trend zu stellen. Wenn alle anderen – die großen Banken, die Ratingagenturen usw. – bei dem Spiel mitspielten und von ständig steigenden Hauspreisen ausgingen, dann bedürfte es schon einer besonderen Vorstellungskraft und psychischen Kraft, um sich dem entgegenzustellen. Denn die Protagonisten des gigantischen Subprime-Verbriefungsmarktes hatten scheinbar die Zahlen auf ihrer Seite. Mathematiker berechneten historische Ausfallwahrscheinlichkeiten, aber sie übersahen dabei, dass die Zahlen der Vergangenheit keine Basis für Zukunftsprognosen hergeben konnten. Denn in der Vergangenheit gab es weder das Phänomen, dass Hunderttausende Kredite an Personen ausgereicht wurden, die ganz offensichtlich niemals in der Lage sein würden, diese zu bedienen, noch hatte es in der Vergangenheit sinkende oder auch nur stagnierende Hauspreise gegeben. Deshalb waren die komplizierten Modelle zur Berechnung von Ausfallwahrscheinlichkeiten bei Subprime-Darlehen bzw. bei den CDOs, die mit diesen unterlegt waren, falsch. Das erkannten allerdings nur wenige Personen – und diese werden im vorliegenden Buch ausführlich geschildert.
Wer auf das Platzen der Hauspreis-Blase und den Zusammenbruch des Subprime-Verbriefungsmarktes wettete, indem er entsprechende CDOs kaufte, brauchte logischerweise einen Counterpart. Wer, so fragten sich die Pessimisten, stand bei der Wette denn auf der anderen Seite? Vor allem war es die Versicherung AIG bzw. deren spezielle Abteilung AIG FP – und das vierte Kapitel, in dem deren Geschäft mit der Versicherung von Subprime-Risiken geschildert wird, gehört zu den besten dieses Buches (S.85 ff.).
Zu den intelligentesten Personen, die schon sehr früh die Risiken erkannten, gehörte Greg Lippmann von der Deutschen Bank, der im dritten Kapitel (S.61 ff.) ausführlich geschildert wird. Zu den dümmsten Käufern von CDOs gehörten bekanntlich ebenfalls an erster Stelle Deutsche. Aus einem Dialog: „Who’s on the other side? Who’s the idiot?“ Antwort: „Düsseldorf. Stupid Germans. They take rating agencies seriously. They believe in the rules.“ (S.93).
Ich kann jedem Leser die beiden Bücher von Zuckerman und Lewis empfehlen. Sie lesen sich spannender als ein Krimi – und man lernt dabei mehr über die Zusammenhänge der Finanzkrise als aus den meisten anderen Büchern, die zu diesem Thema geschrieben wurden.