Der Titel des Buches täuscht. Man könnte glauben, es handele sich hier um eine scharfe „Abrechnung“ mit der Coaching-Industrie und deren Protagonisten. Das Buch ist jedoch wesentlich differenzierter. Der Autor beschreibt zunächst einmal die Coaching-Industrie, die in Deutschland immerhin 300 Mio. Euro jährlich umsetzt (S.11). 30.000 bis 40.000 Menschen gibt es hierzulande, die sich „Coach“ nennen, vermutlich etwa 8000 davon betreiben dieses Geschäft wirklich professionell (S.68). Die Mehrheit davon, etwa 53 Prozent, sind übrigens Frauen (S.23). Die Themen, Versprechungen, Zielgruppen und Methoden sind ebenso unterschiedlich wie die Honorare, die in diesem Bereich genommen werden.
„Der Zweck des Coachings“, so Lindner, „ist nicht wie bei der Psychotherapie die rückwärtsgewandte Aufklärung über Traumata und die Auflösung von Neurosen, sondern die gegenwarts- und zukunftsorientierte Optimierung der vorhandenen Stärken.“ (S.13). Unterschieden wird zwischen dem klassischen Business Coaching, dessen Zielgruppen vor allem Manager und Unternehmer sind, sowie dem „Life Coaching“, das sich im Grunde an jedermann richtet. Mehr verdient wird natürlich im Business Coaching, zumal hier die Auftraggeber meist große Firmen sind, die in der Spitze Tagessätze bis zu 8000 Euro oder mehr zahlen.
Solche Zahlen werden manchmal in den Medien genannt und erzeugen, wie der Autor zeigt, ein ganz falsches Bild – denn diese Honorare sind eine sehr, sehr seltene Ausnahme. Zumal das Angebot an Coaching-Dienstleistungen immer mehr wächst, sehen sich viele Coaches gezwungen, für Stundensätze von 50 oder 100 Euro zu arbeiten. „Nur eine dünne Oberschicht derjenigen, die im deutschsprachigen Raum Coaching anbieten, lebt wirklich davon. Der Marburger Studie zufolge erwirtschaftet lediglich ein Zehntel der Coaches sein Einkommen ausschließlich in diesem Arbeitsfeld. Mehr als die Hälfte der Anbieter verdient nur unter 30 Prozent des Jahreseinkommens im Coaching!“ (S.162). Im Jahr 2008 erzielten 68 Prozent der Coaches Bruttoumsätze von weniger als 30.000 Euro (S.164).
Die Stärke des Buches ist es, dass der Autor eben nicht versucht, alles über einen Kamm zu scheren. Er betont immer wieder, dass es durchaus Coaches gibt, die ihr Geld wert sind und die den Menschen tatsächlich helfen, ihre Ziele besser zu erreichen. „Wenn im Anschluss an ein Coaching aus dem Low-Performer ein leistungsstarker und motivierter Mitarbeiter wird, stimmt die Bilanz der Investition in das Humankapital. Und solch optimierende Effekte gibt es ohne Zweifel. Das hat sich mittlerweile auch in den Chefetagen herumgesprochen.“ (S.137 f.) Gerade auf dieser Erkenntnis basiere schließlich der Coaching-Boom in Deutschland.
Daneben gibt es jedoch auch viel Skurriles und manch Fragwürdiges in der schillernden Coaching-Szene. „Coaching beim Schwimmen mit Delfinen in der Türkei, Führen mit Pferden, Leadership lernen von Wölfen oder Wandern mit Lamas? Letzteres dient nicht etwa der Entspannung gestresster Städter, wie das von einigen Milchbauern angebotene, aus den Niederlanden kommende Kuscheln mit Kühen, sondern dem Führungskräftetraining, so die werbliche Darstellung von Coach Annette Götzel: Man könne ‚mit Lamas auf Augenhöhe,… begleitet von einer erfahrenen Persönlichkeitstrainerin’ unter anderem Führungsstil und Kommunikation überprüfen.“ Und natürlich wirkt „tiergestütztes Coaching“ auch „nachhaltig“ – wie sollte es denn auch anders sein? (S.90 f.).
Spielen auch Sekten eine Rolle, die Coaching missbrauchen, um in der Wirtschaft Einfluss zu nehmen? Der Autor gibt Entwarnung. Allenfalls handele es sich hierbei um Randphänomene.
Wie findet man einen guten Coach? Wohl am ehesten durch Empfehlungen. Denn Verbände und Zertifikate bieten für den Laien keine Orientierung, zumal es an die 20 Verbände und Organisationen für Coaches gibt und eine verwirrende Vielzahl von Zertifikaten (S.167). Coaching ist auf jeden Fall, wie Lindner zeigt, inzwischen salonfähig geworden. In manchen Kreisen gehöre es sogar zum guten Ton, wenn man betont, dass man einen eigenen Coach habe.
Der Autor spart nicht mit Kritik an Coaches, deren Expertise er bezweifelt, hält aber auch nicht mit Lob für andere zurück, die er schätzt. Letztere werden sich darüber freuen, erstere natürlich ärgern. Ich selbst als Rezensent vermag nicht zu beurteilen, wo der Autor im Einzelnen richtig oder falsch liegt – aber es bleibt der Eindruck eines informativen und im Urteil insgesamt abgewogenen Buches, das jedenfalls sehr viel differenzierter ist, als es der etwas reißerische Titel vermuten lassen könnte.