Deutschland und seine Millionäre – wohl kaum ein Thema ist politisch und weltanschaulich so aufgeladen wie dieses. Kann man ein Buch zu diesem kontroversen Thema empfehlen, obwohl man den politischen Standpunkt des Autors nicht teilt? Ja, wenn es ein ebenso gut geschriebenes und interessantes Buch ist wie dieses.
Zunächst hatte ich befürchtet, vielleicht handle es sich um ein Buch wie das 2009 im Heyne Verlag erschienene „Schön reich – Steuern zahlen die anderen“, in dem einfach nur billige Klischees über „die Reichen“ bedient werden. Und an der einen oder anderen Stelle des Buches „Ganz oben“ schimmert auch recht deutlich die politische Einstellung des Autors durch, die sicherlich ein Stück weit links von meiner eigenen Einstellung ist.
Aber der Autor hat eben kein ideologisches Pamphlet geschrieben, sondern ein unterhaltsames Buch, in dem er die Lebenswirklichkeit deutscher Millionäre zu ergründen versucht. Davon gibt es bekanntlich etwa 800.000, also etwa ein Prozent der Bevölkerung. Aber die Lebensweise und die Einstellungen dieser Millionäre könnten unterschiedlicher nicht sein – und es ist eines der Verdienste dieses Buches, das zu zeigen.
Der Autor lehnt sich an das klassische Sinus-Milieumodell an, das bereits vor einigen Jahren auch auf die deutsche Oberschicht angewendet wurde. Nach diesem Modell wird zwischen sechs verschiedenen Gruppen unterschieden, „die alle am oberen Rand des klassischen Schichtenmodells angesiedelt sind, sich aber hinsichtlich ihrer Wertorientierungen dramatisch unterscheiden: von den konservativen und den etablierten bis zu den liberal-intellektuellen Vermögenden; von den statusorientierten und den konventionellen Vermögenden bis zum neuen vermögenden Nachwuchs“ (S. 51).
Das Buch ist ausgesprochen locker und unterhaltsam geschrieben – der Autor unternimmt eine Reise durch die Submilieus der Reichen, die in Kampen und Flensburg beginnt, ihn über Vorpommern und Brandenburg bis Wuppertal, Karlsruhe und Ammersee führt. Dem Autor ist es gelungen, mit einigen der (meist ja eher verschwiegenen) Multimillionäre ausführlich zu sprechen und er beschreibt die verschiedenen Lebensstile dieser Menschen jeweils exemplarisch an Fallbeispielen.
Dabei wird deutlich, dass es ganz erhebliche Unterschiede im Lebensstil und der Einstellung der Multimillionäre gibt: Manche stellen ihren Reichtum gern zur Schau, doch das ist – im Vergleich zu anderen Ländern – in Deutschland eher atypisch. Viele treiben eher ein Understatement. Vielleicht deshalb, weil in Deutschland der Sozialneid verbreiteter ist als beispielsweise in den USA? Nun, das ist eine These des Rezensenten, nicht die des Autors. Dieser lobt vielmehr die deutschen Millionäre, weil sie im Vergleich zu den Reichen in anderen Ländern sehr viel sozialverträglicher seien. Deutschland, so die These des Autors, sei mit seinen Millionären gar nicht so schlecht bedient. „Die Reichen in Deutschland geben sich nur selten einem derart ostentativen Luxuskonsum hin wie ihre Standesgenossen in anderen Weltregionen. Auch reiche Müßiggänger gibt es in Deutschland kaum. Die deutsche Oberschicht definiert sich quer durch alle Milieus vor allem über ihre Arbeit.“ (S. 192).
Gibt es bei allen Unterschieden auch Gemeinsamkeiten zwischen den Millionären? Der Autor hatte viele Studien über Reiche gesichtet, eine davon stammt von der Soziologin Melanie Kramer, die als Ergebnis einer Befragung von 500 Reichen zu dem Resultat kommt, die Reichen seien „weniger neurotisch, also psychisch und emotional stabiler. Außerdem sind sie häufiger extravertiert, sie sind gesellig und gern unter Menschen. Vermögende sind wesentlich offener für neue Erfahrungen, wissbegierig und tolerant. Dagegen sind sie weniger verträglich und scheuen keine Konflikte“ (zitiert nach S. 76).
Die generelle Aussage, den „Millionären geht es gut in Deutschland“ (S. 192) würde ich relativieren. Was die materielle Seite anlangt, so ist die Sicht des Autors etwas einseitig, wenn er schreibt: „Die Kapitalertragssteuer wurde auf pauschal 25 Prozent gesenkt, die Vermögensteuer ausgesetzt, die Erbschafts- und Schenkungssteuer für Familien faktisch abgeschafft: Finanziell gesehen war es in Deutschland nie angenehmer als heute, reich zu sein“ (S. 189). Man könnte dem auch entgegensetzen: Vor wenigen Jahren wurde die „Reichensteuer“ eingeführt, die dazu führt, das Besserverdiener wieder fast 50% Einkommensteuern bezahlen. Die Einführung der Abgeltungssteuer hat dazu geführt, dass Kursgewinne auf Aktien und andere Wertpapiere nicht mehr – wie früher – nach einem Jahr steuerfrei sind, was für langfristig orientierte Anleger eine erhebliche steuerliche Mehrbelastung bedeutet, denn statt Null Steuern werden nun etwa 28 Prozent fällig. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer wurde unlängst ganz massiv erhöht, beispielsweise für Immobilienbesitzer. Die These: „Wer ein Familienunternehmen an seine Nachkommen übergibt, muss seit 2009 keine Erbschaftsteuer mehr zahlen, sofern er ein paar Bedingungen einhält“ (S. 186) stimmt so nicht. Diese „paar Bedingungen“ sind nämlich so wirklichkeitsfremd formuliert, dass sie in Wahrheit kaum ein Unternehmen wird einhalten können.
Mindestens ebenso wichtig wie diese materielle Seite ist jedoch, dass den Millionären in Deutschland weitgehend die gesellschaftliche Anerkennung versagt wird. Über keine andere Minderheit wird in Deutschland so pauschal in Talkshows und im politischen Diskurs hergezogen wie über „die Reichen“. Dass sich die Situation für „die Reichen“ in Deutschland deutlich „entspannt“ habe und niemand ihnen mehr „so richtig derbe ans Konto“ will (S. 35), wie der Autor meint, ist eine gewagte These, wenn man bedenkt, dass SPD, Linke und Grüne für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine erhebliche Erhöhung der Einkommensteuer sind und ständig Neiddebatten gegen „Besserverdiener“ und „Reiche“ vom Zaun brechen. Der Autor relativiert seine Aussage denn auch einige Seiten später, indem er einräumt, dass sich durch die Finanzkrise wieder stärker die Stimmung gegen „die Reichen“ (die populistisch als Verursacher der Krise identifiziert werden) wendet (S. 38).
Das Verdienst des Buches ist es indes, dass der Autor verdeutlicht, dass es „die Reichen“, die dem negativen Stereotyp entsprechen, kaum gibt. Er zeigt, dass die „statusorientierten Vermögenden“ (S. 103ff.), die durch das Zurschaustellen von Statussymbolen und demonstrativen Konsum auffallen, in Wahrheit nur eine kleine Gruppe unter den Millionären sind, die nur eben naturgemäß sehr viel mehr auffällt als die Mehrheit jener, die der Autor beispielsweise den „etablierten Vermögenden“ (S. 70ff.), den „konservativen Vermögenden“ (S. 86ff.), den „konventionellen Vermögenden“ (S. 121ff.) oder den „liberal-intellektuellen Vermögenden“ (S. 131ff.) zuordnet.
Es lohnt sich also dieses Buch zu lesen, auch wenn man – so wie ich – politisch in mancher Hinsicht anders denkt als der Autor. Zudem ist es so unterhaltsam geschrieben, dass es wirklich Freude macht, das Buch zu lesen. Und man lernt in jedem Fall etwas über das Leben „der Reichen“, auch wenn man die implizit in manchen Formulierungen enthaltenen oder die explizit formulierten Meinungen des Autors nicht immer teilen mag.