Günter Ederer ist einer der bekanntesten deutschen TV-Journalisten – er produzierte vier Jahrzehnte lang Filme für ARD und ZDF. Zudem ist er mit 23 Preisen der meistausgezeichnete Wirtschaftsjournalist Deutschlands. So erhielt er beispielsweise 2002 den deutschen Fernsehpreis für seine ARD-Reportage „Menschenpoker – Neue Wahrheiten über die Arbeitslosigkeit“, ein Jahr später erhielt er den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik und 2006 wurde ihm von der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft die Hayek-Medaille verliehen. Ich erwähne dies, um zu zeigen: In diesem Buch spricht kein Außenseiter, keiner jener weltverbesserischen Katastrophengurus, deren Bücher derzeit den Markt überschwemmen. Und doch sind seine Botschaften so alarmierend und in so scharfer Diktion vorgetragen, wie man dies in Deutschland leider nicht gewohnt ist. Denn die „Political Correctness“ mit all ihren vorgefertigten Denkschablonen, Worthülsen und Denkverboten ist Ederer erfreulicherweise verhasst.
Das Interview, in dem Günter Ederer erklärt, dass kein Tag vergeht an dem er nicht aufgefordert wird eine Partei zu gründen, finden Sie hier.
Ein Hauptthema des Buches ist der „konsequente Weg in die Staatspleite“. Jeder weiß, dass Deutschland überschuldet ist, aber heute ist es modern geworden, die angeblich „moderaten“ Schulden Deutschlands mit der weitaus höheren Staatsverschuldung von Ländern wie Griechenland oder Japan zu vergleichen. Damit wird dann der Einäugige zum König unter den Blinden. Ederer rechnet jedoch vor, dass selbst die fast zwei Billionen Staatsschulden, die Deutschland „offiziell“ angehäuft hat, nur die Spitze des Eisbergs sind. Er belegt, dass der Staat Leistungsgesetze für die heute in Deutschland lebenden Menschen verabschiedet hat, für die eine zusätzliche Deckungslücke von rund sieben Billionen Euro besteht (S. 123). Allein die Pensionszahlungen an die heute im Dienst befindlichen Beamten summieren sich auf 942 Milliarden Euro, wobei Zahlungen an Witwen und Beihilfen für Gesundheitskosten noch nicht enthalten sind (S. 117). Ein weiteres Milliardengrab ist die Rentenversicherung, deren Deckungslücke eine weitere Billion Euro beträgt (S. 118). Die dritte Komponente der erschreckend hohen impliziten Staatsschulden ist das Gesundheitswesen. Um die Krankenkosten im Alter für die heute lebenden Menschen auf dem bisherigen Niveau bezahlen zu können, müssten bei den Krankenkassen Rücklagen von einer weiteren Billion Euro bestehen. Tatsächlich gibt es diese Rücklagen jedoch nicht (S. 121). Eine besondere Brisanz entwickeln diese Probleme, weil sie sich kumulativ verbinden mit einem – auch im Vergleich zu anderen Ländern – dramatischen Bevölkerungsrückgang.
All diese Befunde sind nicht unbekannt, aber Ederer führt eine überaus beeindruckende Fülle von ebenso gut recherchierten wie alarmierenden Fakten und Zahlen auf und verdeutlicht, dass in der Wahrnehmung der Politik und der Medien tatsächlich all diese Probleme massiv verdrängt und beschönigt werden.
In dem Buch finden sich viele weitere Botschaften, die ich drei Mal dick unterstreichen möchte – und Ederer trägt diese Botschaften in einer sehr deutlichen Weise vor. Einige Beispiele:
Finanzkrise: „Als die weltweite Finanzkrise auch Deutschland erreichte, forderte die Vereinigte Linke die Verstaatlichung der Banken. Dabei waren die dümmsten Käufer der wertlosen US-Finanzderivate die staatseigenen Landesbanken. Es wird also die Verstaatlichung der staatlichen Banken verlangt. Das ist schon ein Fall für den Psychiater.“ (S. 7)
Nachhaltigkeit: „Keine Gesetzesinitiative mehr, die nicht mit den Attributen ‚umweltverträglich, sozialverträglich und nachhaltig’ versehen wird. Das ist dann ‚politische Korrektness’ in Vollendung.“ (S. 8 ) Insbesondere sieht Ederer eine Bedrohung der politischen und wirtschaftlichen Freiheit darin, dass von den Alarmisten der Ökokatastrophe immer stärkere Einschränkungen der Freiheit und immer höhere Subventionen gefordert werden, weil ja der angeblich gute Zweck (also die Rettung der Welt vor dem finalen Öko-Gau) alles rechtfertige. „Nichts eignet sich so hervorragend wie die drohende Weltklimakatastrophe, um die kapitalistische Welt an den Pranger zu stellen und neue gigantische Umverteilungsprogramme zu fordern. Schließlich geht es hier um nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Welt. Damit ist natürlich jeder Eingriff in die souveränen Rechte eines Staates zu rechtfertigen, aber auch jeder Eingriff in den Lebenswandel des Einzelnen.“ (S. 28).
Euro-Krise: Die massive Krise des Euro spiegelt sich nur deshalb nicht in den Wechselkursen zu US-Dollar und Yen wider, weil auch die USA und Japan fleißig Geld drucken. „Und weil dabei Euro, Dollar und Yen im Gleichschritt daherwanken, kommt es nicht zum Run auf eine der drei Leitwährungen.“ (S. 66). Gegen die Bestimmungen des Maastrichter Vertrages werde permanent verstoßen, insbesondere gegen die Klausel, wonach die EU-Länder nicht gegenseitig für ihre Schulden aufkommen dürfen. Zu Recht zollt der Autor dem FDP-Abgeordneten Frank Schäffler großen Respekt, der in einer persönlichen Erklärung begründet hatte, warum er dem Gesetz, in dem das sanktioniert wurde, nicht zustimmte.
Steuergesetzgebung: „Ihre Macht kann die Verwaltung in der Bundesrepublik erst richtig entfalten, weil die Gesetze so kompliziert sind, dass sie der normale Bürger nicht mehr versteht. Dadurch werden der Willkür Tür und Tor geöffnet.“ (S. 131). Schlimmer noch: Nicht nur der „normale Bürger“ versteht die Steuergesetze nicht mehr (ich glaube, das wäre auch etwas zu viel verlangt), sondern auch der normale Finanzbeamte und Steuerberater nicht – und das allerdings ist ein Skandal, den der Autor zu Recht anprangert. Ederer zitiert den auch vom Rezensenten überaus geschätzten Präsidenten des Bundesfinanzhofes (BFH), Wolfgang Spindler, dessen Gericht dem Bundesverfassungsgericht den § 2 Abs. 3 EStG vorlegte, weil das Gesetz so unklar, kompliziert und vertrackt formuliert war, dass der BFH allein deshalb schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hatte. Leider folgten die Karlsruher Richter dem Votum des BFH nicht und nahmen die Klage nicht einmal an (S. 131 f.). Zu Recht prangert Ederer auch die verfassungsrechtlich bedenkliche Praxis der so genannten „Nichtanwendungserlasse“ in der Finanzverwaltung an (S. 141).
Wie verwirrt der geistige Zustand unserer Republik ist, wird an vielen kleinen Beispielen deutlich. So konstatiert Ederer zu Recht: „Es dürfte weltweit einmalig sein, dass eine Partei an Zustimmung verliert, weil sie die Staatsausgaben und damit die Steuern senken will.“ (S. 8 )
Bei all diesen und vielen, vielen weiteren Aussagen des Buches habe ich drei Ausrufezeichen an den Rand gesetzt. Es finden sich jedoch in meinem Buch auch mehrere dicke Fragezeichen. So propagiert der Autor als Lösungsvorschlag für die horrende Staatsverschuldung eine einmalige Vermögensabgabe, die „wie eine vorweggenommene Währungsreform wirkt“ (S. 145) und bei der die Besitzer von Immobilien- und Geldvermögen kräftig zur Kasse gebeten werden sollen. So wie nach der Hyperinflation in der Weimarer Republik sollen Immobilieneigentümer mit Hypothekengewinnabgaben belastet werden, um die maroden Haushaltskassen zu sanieren (S. 147). Bedenkt man, dass die meisten privaten Vermieter schon heute keine oder nur eine extrem schmale Rendite erwirtschaften, dann fragt man sich, woher sie das Geld nehmen sollen. Ederer möchte mit einer einmaligen Vermögensabgabe von 1,8 Billionen Euro die Vermögenden belasten. Da er einige Seiten zuvor vorgerechnet hat, dass – inklusive der impliziten Verpflichtungen – die öffentliche Verschuldung eigentlich mehr als drei Mal so hoch ist, bleibt unklar, warum dies all unsere Probleme abschließend lösen soll. Ederer fürchtet, mit diesen Vorschlägen politisch nicht durchzudringen. Ich fürchte etwas ganz anderes: Dass die Politik früher oder später solche Vorschläge – wenn auch nicht ganz so radikal – gerne aufnehmen wird, aber natürlich nicht gleichzeitig das von Ederer geforderte radikale und absolute Verschuldungsverbot für die Länder, den Bund und alle öffentlichen Körperschaften beschließen wird (S. 150). Und selbst wenn so etwas beschlossen würde – dies zeigen alle Beispiele der Vergangenheit mit sogenannten „Schuldenbremsen“ – wird bei nächster Gelegenheit doch wieder völlig ungeniert dagegen verstoßen, weil eine wirkliche oder vermeintliche „Notlage“ dies gebiete. Solange der Staat ungebremst Papiergeld drucken kann, wird er es immer wieder und immer stärker tun. Und schließlich mag man hinzufügen: Selbst wenn es gelänge, dass Deutschland als einziges Industrieland seine Verschuldungsthematik radikal lösen würde – was würde das bringen, wenn einige Jahre später andere Länder wie Japan, die USA oder Großbritannien kollabieren? Die DAX-Unternehmen erwirtschaften nur noch 25% ihrer Umsätze hierzulande. Wir würden unweigerlich in den Strudel der Probleme anderer Länder hineingezogen, selbst wenn wir unsere Schulden auf Null gesenkt hätten.
Auch an einigen anderen Stellen des Buches habe ich Fragezeichen markiert. Doch genau darin liegt der Reiz des Buches: Der Autor ist in keine Schublade einzuordnen. Er setzt sich bewusst zwischen alle Stühle, und fühlt sich genau dort richtig positioniert. Er schimpft zu Recht und lautstark gegen linke Ideologen, aber er bringt sein Buch in einem Verlag heraus, der zeitgleich eine Streitschrift der Kommunistin Sarah Wagenknecht verlegt. Ederer ist also ein wirklicher Querdenker, und deshalb habe ich das Buch von der ersten bis zur letzten Seite mit Faszination gelesen.