In unserem Alltagsleben, geschäftlich wie privat, unterlaufen uns zahlreiche Denkfehler, deren wir uns nicht bewusst sind. Intuitiv ziehen wir unzulässige Schlüsse, die sich mit den Regeln der Logik nicht vereinbaren lassen. 52 dieser Denkfehler hat der Autor dieses Buches aufgespießt.
Nachfolgend werde ich einige besonders überzeugende Beispiele für Denkfehler aus diesem sehr lesenswerten Buch zusammenfassen. Am Ende der Besprechung werde ich dann allerdings auch einige Beispiele aus dem Buch anführen, die ich nicht ganz überzeugend finde.
„The Sunk Cost Fallacy“ beispielsweise sollte zwar jedem BWL-Studenten bekannt sein, dennoch tappen wir immer wieder in diese Falle: „Die Sunk Cost Fallcy schnappt dann zu, wenn wir schon besonders viel Zeit, Geld, Energie, Liebe etc. investiert haben. Das investierte Geld wird dann zur Begründung, weiterzumachen, selbst wenn es objektiv betrachtet keinen Sinn macht. Je mehr investiert wurde, desto stärker ist der Drang, das Projekt fortzuführen.“ (S. 22) Rational entscheiden, bedeutet, die bereits aufgelaufenen Kosten zu ignorieren. „Egal, was Sie bereits investiert haben, es zählt einzig das Jetzt und Ihre Einschätzung der Zukunft.“ (S. 23) Einen Kinofilm nur deshalb zu Ende zu schauen, weil man bereits das Geld für die Eintrittskarte bezahlt hat, ist eine dumme Idee. Das Geld ist ja sowieso weg.
Mit dem „Confirmation Bias“ bezeichnet der Autor jene selektive Verzerrung in der Wirklichkeitswahrnehmung, die Warren Buffett einmal wie folgt beschrieb: „Was die Menschen am besten können, ist, neue Informationen so zu filtern, dass bestehende Auffassungen intakt bleiben.“ Wir sollten deshalb systematisch nach Gründen und Argumenten suchen, die unsere Theorien, Überzeugungen und Weltbilder in Frage stellen. Charles Darwin beispielsweise hatte sich seit seiner Jugend darauf eingestellt, den Confirmation Bias systematisch zu bekämpfen. „Wann immer Beobachtungen seiner Theorie widersprachen, nahm er sie besonders ernst. Er trug ständig ein Notizbuch mit sich herum und zwang sich, Beobachtungen, die im Widerspruch zu seiner Theorie standen, innerhalb von 30 Minuten zu notieren. Er wusste, das das Hirn Disconfirming Evidence nach 30 Minuten aktiv ‚vergisst‘. Je gefestigter er seine Theorie einschätzte, desto aktiver suchte er nach widersprechenden Beobachtungen.“ (S. 30)
Mit „Availability Bias“ meint der Autor jene Tendenz, in erster Linie Daten oder Rezepte zu verwenden, die einfach zu besorgen sind bzw. sich auf das zu konzentrieren, was einem vorgelegt wird, statt auf das, was beispielsweise fehlen könnte. „In Aufsichtsratssesseln steckt der Wurm des Availability Bias tief drin. Die Herren diskutieren über das, was das Management ihnen vorlegt – meistens Quartalszahlen -, statt über Dinge, die ihnen das Management nicht vorlegt, aber wichtiger wären, zum Beispiel einen geschickten Schachzug der Konkurrenz, das Absacken der Motivation der Belegschaft oder eine unerwartete Veränderung des Kundenverhaltens.“ (S. 47)
Mit dem „Story Bias“ meint der Autor unsere Empfänglichkeit und Vorliebe für – scheinbar – plausible und schlüssige Geschichten. „Von der eigenen Biografie bis hin zum Weltgeschehen – alles drechseln wir zu ‚sinnhaften‘ Geschichten. Damit verzerren wir die Wirklichkeit – und das beeinträchtigt die Qualität unserer Entscheidungen.“ (S. 55) Unter der Überschrift „The Conjunction Fallacy“ erläutert der Autor, warum uns plausible Geschichte verführen. Ein Beispiel: Klaus ist 35, hat Philosophie studiert und sich seit dem Gymnasium mit Dritte-Welt-Themen befasst. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre lang beim Roten Kreuz in Westafrika und dann drei Jahre im Genfer Hauptsitz, wo er zum Abteilungsleiter aufstieg. Anschließend machte er den MBA und schrieb seine Diplomarbeit über ‚Unternehmerische Gesellschaftsverantwortung‘. Nun die Frage: Was ist wahrscheinlicher? A) „Klaus arbeitet für eine Großbank“. B) „Klaus arbeitet für eine Großbank und ist dort zuständig für die bankeigene Dritte-Welt-Stiftung.“ (S. 169) Natürlich ist A sehr viel wahrscheinlicher, aber dennoch antworten viele Menschen spontan mit B), und zwar einfach deshalb, weil es eine plausible Geschichte ist. „Das intuitive Denken hat ein Faible für plausible Geschichten.“ (S. 171) Meine Folgerung daraus: Wenn man andere Menschen überzeugen will, muss man eine plausible Geschichte erzählen.
Menschen fällt es schwer, Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen. Dies verdeutlicht der Autor am Beispiel eines Experimentes. Teilnehmern einer Versuchsgruppe wurde gesagt, dass sie einen Stromstoß erhalten werden. Die Wahrscheinlichkeit mit der dies geschehen würde, wurde von 50% auf 20%, 10% bis hin zu 1% gesenkt. An der Aufregung der Versuchsteilnehmer änderte die drastisch reduzierte Wahrscheinlichkeit jedoch gar nichts. (S. 106) Dagegen reagierten die Menschen sofort auf eine Änderung im Ausmaß des Stromstoßes. Ist das aber wirklich so irrational? Wenn ich wüsste, dass ich ein Glas Wasser trinke und die Wahrscheinlichkeit, dass es mir daraufhin ein wenig schlecht wird, liege bei 1:10, dann würde ich es auch bei mäßigem Durst trinken. Wüsste ich hingegen, dass ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 tot umfallen würde, nachdem ich das Glas getrunken hatte, dann würde ich es nur kurz vor dem Verdursten trinken.
Nicht bei allen in diesem Buch aufgeführten „Denkfehlern“ bin ich der Überzeugung, dass derjenige im Vorteil ist, der sie meidet. Ein Beispiel: Der Autor argumentiert, dass wir oftmals die Erfolgsaussichten von Projekten systematisch überschätzen. Das leuchtet ein: So glaubt jeder, der ein Unternehmen gründet, dass er Erfolg haben werde. Aber die wenigsten haben tatsächlich Erfolg, die meisten Neugründungen von Unternehmen scheitern. Der Autor empfiehlt daher: „Gehen Sie bei allen Plänen immer vom pessimistischsten Szenario aus. Damit haben Sie eine wahre Chance, die Situation einigermaßen realistisch zu beurteilen.“ (S. 15)
Der Autor schreibt auch: „Wenn ich die jungen Leute nach ihren Karrierezielen frage, antworten die meisten, dass sie sich mittelfristig im Vorstand einer globalen Firma sehen… Ich sehe meine Aufgabe darin, den Studenten einen Base-Rate-Crashkurs zu geben: ‚Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Diplom dieser Schule im Vorstand eines Konzerns zu landen, ist niedriger als 1%. Egal wie intelligent und strebsam Sie sind, das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Sie im Mittelmanagement stecken bleiben.'“ (S. 119)
Meine Frage: Wie hilfreich ist es für den einzelnen und die Gesellschaft, wenn niemand mehr an einen großen Erfolg glaubt? Wenn jeder, der ein Unternehmen gründen möchte oder die Position als Vorstand seiner Firma anstrebt, sich vorher die statistische Wahrscheinlichkeit ausrechnet und dann sein Vorhaben begräbt? Henry Ford hat einmal gesagt: „Ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht: Du wirst auf jeden Fall recht behalten.“ Dobelli würde diesem Satz von Henry Ford sicher nicht zustimmen. Aber unbestreitbar ist doch, dass derjenige, der aus lauter Zweifeln und Skepsis gar nicht erst versucht, eine Firma zu gründen oder Vorstand in einem Unternehmen zu werden, bestimmt keine Chance hat, eines dieser Ziele zu erreichen. Ist wirklich derjenige erfolgreicher, der sich vorher ausgiebig alle Hindernisse und Schwierigkeiten ausmalt und sich vor allem damit befasst, wie gering seine Chancen sind?
Ich glaube, die Vermeidung mancher vermeintlicher „Denkfehler“ ist einfach nicht hilfreich – weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft. Trotz dieser kritischen Einschränkung: Ich kann das Buch dringend jedem zur Lektüre empfehlen. Es regt zum Nachdenken an – und das ist das Beste, was man über ein Buch sagen kann. Wenn es dem Leser nach der Lektüre der 52 Denkfehler auch nur gelingt, zwei oder drei häufige Denkfehler künftig bei wichtigen Entscheidungen zu vermeiden, dann hat sich die Lektüre mehr gelohnt als die Lektüre der meisten Bücher. R.Z.