“Dieses Buch”, so betont der Autor im Prolog, “ist keine Auftragsarbeit, und darin unterscheidet es sich von zahlreichen jener Werke, die bisher über Banken in Deutschland geschrieben wurden. Hagiografien wie ‚Josef Ackermann. Leistung aus Leidenschaft’ oder kapitalismuskritische Titel wie ‚Bank-Räuber’ oder boulevardorientierte Reißer wie ‚Die Gier war grenzenlos. Eine deutsche Börsenhändlerin packt aus’ haben schon in ihrem Grundkonzept nicht primär die Motivation aufzuschreiben, ‚wie es eigentlich gewesen’”. (S. 17 f.) In der Tat: Wer die genannte Ackermann-Hagiografie gelesen hat, konnte sich dabei nur für den Autor dieses Buches fremdschämen – gerade wenn er, wie der Rezensent, die Leistung von Ackermann positiv sieht. Von den Büchern, die populistisch in die Bankenschelte einstimmen, möchte ich hier gar nicht erst reden.
Das Buch von Oermann unterscheidet sich wohltuend von den zahlreichen Büchern, in denen Banken und Banker pauschal als Sündenböcke vorgeführt werden – obwohl auch er durchaus einen kritischen Ansatz verfolgt. Geschrieben hat er eigentlich kein Sachbuch, sondern einen geistreichen Essay. Am Beispiel von Edson Mitchell, dem Mann der die Deutsche Bank zu einer international führenden Investmentbank machte, zeichnet er die Mentalität der Investmentbanker nach. Dies geschieht durchaus kritisch und distanziert, aber ohne den schrillen Ton der Anklage, wie er heute üblich ist. Oermann zitiert als Leitmotto den Satz des Historiker Leopold von Ranke, wonach es Aufgabe eines Historikers sei, “zu zeigen, wie es eigentlich gewesen”. So widmet sich ein Teil des Buches der Aufgabe, das Selbstverständnis und die Mentalität von Investmentbankern darzustellen.
Die historische Leistung – gleichgültig, wie man diese bewertet – von Mitchell war es, aus der Deutschen Bank eine Investmentbank zu machen. Das Investmentbanking erzielte im Jahr 2000, als Mitchell bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, 58% der Gesamterträge der Deutschen Bank, was bis zum Jahr 2005 noch weiter auf etwa 70% des Ertrages gesteigert werden konnte. (S. 45) Er war zu seiner Zeit der bestbezahlte Mitarbeiter der Deutschen Bank. Mit einem geschätzten Jahreseinkommen von über 30 Millionen Mark verdiente er in seinen besten Zeiten womöglich mehr als alle deutschsprachigen Bankvorstände in der Deutschen Bank-Zentrale in Frankfurt zusammen. (S. 39)
Oermann zeichnet in einfachen Worten nach, was ein Investmentbanker überhaupt tut. Erstaunlicherweise wissen das die meisten Menschen, die abfällig über “Banker” sprechen und dabei vor allem die Investmentbanker meinen, gar nicht. “Dabei kann man jemandem doch nur glaubhaft vorwerfen, zu viel zu verdienen, wenn man eine grobe Vorstellung davon besitzt, wofür genau dieser Mensch entlohnt wird… Von daher sollte man vor jeder Kritik an der Höhe eines Lohns zumindest in der Lage sein zu beschreiben, worin die Leistung besteht – im Fall des Investmentbanking also, bevor man über die Mission von Investmentbankern spricht oder gar urteilt.” (S. 50)
Wie beurteilt der Autor die Leistung von Menschen wie Mitchell und Ackermann, die die Deutsche Bank zu einer Bank umformten, deren wichtigstes Standbein das Investmentbanking ist? “Gäbe es den Bereich Investmentbanking nicht und wäre die Deutsche Bank nicht mit dem Kauf von Morgan Grenfell in dieses Geschäft eingestiegen, wäre sie heute bestenfalls eine mittelgroße deutsche Geschäftsbank und im schlechtesten Fall von einem Mitbewerber bereits übernommen worden, der sich für vergleichsweise kleines Geld einen Kundenpool sichern wollte, genau wie dies die Deutsche Bank Jahre später mit der Übernahme der Postbank tat. Die Kehrseite: Als Deutschbanker einer anderen Generation holten Breuer, Kopper und andere aus der Erkenntnis der Notwendigkeit heraus eine Gruppe von jungen, hungrigen Konquistadoren in ihre Bank, deren Eroberungsmodell und Waffenarsenal sie nicht vollständig übersahen und über die sie zunehmend die Kontrolle zu verlieren drohten.” (S. 64)
Ein großer Teil des Buches befasst sich damit, die Mentalität von Investmentbankern zu charakterisieren. “Wettbewerb, Geld und Elitebewusstsein” (S. 70) seien die konstitutiven Antriebskräfte für Mitchell gewesen, der damit prototypisch für die Mentalität von Investmentbankern gewesen sei. “Was Investmentbanker wie Edson Mitchell antrieb? Der unbedingte Wille, sich im Wettbewerb Mann gegen Mann, Bank gegen Bank durchzusetzen, und die Durchsetzungskraft wird gemessen in Geld.” (S. 78)
Die Mentalität der verschworenen Gruppe von Investmentbankern vergleicht der Autor – der übrigens als Professor Wirtschaftsehtik lehrt und ordinierter Pfarrer ist – mit der einer Sekte: “Letztlich sind solch geschlossene Gruppen mit ihren Gebräuchen und Ritualen, ihren Partys und 18-Stunden-Arbeitstagen, die dem Namen spotten, weil sie meist bis spät in die Nacht dauern, dem nicht ganz unähnlich, was der Theologe Ernst Troeltsch bereits vor 100 Jahren als ‚Sekte’ definierte. Denn die Bank als geschlossenes System wird zum Lebensmittelpunkt.” (S. 142)
Mitchell war dafür bekannt, Angestellten, die sein Büro zum Rapport besuchten, nicht mehr als zwei Minuten, ja manchmal nur 30 Sekunden zu geben, um ein Problem zu umreißen. War dann nicht klar, “where the money was”, war seine Geduldsspanne schnell zu Ende: “Tell me where exactly the problem is! You have 30 seconds, 29, 28, 27… over!” (S. 153) Mitchells Stärke sei es gewesen, bei der Auswahl seines Personals die im Investmentbanking in großer Zahl vorhandenen, eloquenten bullshiter schneller als andere identifizieren zu können – und notfalls sofort zu “terminieren”. Nichts habe ihn mehr irritiert, als wenn er auf seinem Gang durch den sportfeldgroßen Londoner Handelssaal auf drei einfache Fragen an seine Leute – wie: “Wer ist dein wichtigster Kunde?” oder “Mit wie viel Geld bist du heute im Feuer?” oder “Was ist der Kern dieses Geschäfts” – keine ihn zufriedenstellende Antwort bekam. “Dann konnte es/er sehr schnell gehen.” (S. 154) Auf der anderen Seite war er ein Meister darin, Menschen zu motivieren. “Menschen zu motivieren, das zu tun, was er wollte: dies war eine wesentliche Qualität Edson Mitchells.” (S. 164)
Der Autor folgt der herrschenden Interpretation der Finanzkrise, wonach diese ihre tiefste Ursache letztlich in der unter Thatcher und Reagan betriebenen Deregulierung hatte – hier bin ich ganz anderer Ansicht. Der Autor ist zugleich skeptisch, ob ein Mehr an Regulierung wirklich helfen und das Investmentbanking “bändigen” werde. “Der Versuch, einem Mann wie Mitchell mit neuen Gesetzen und Verordnungen zur Bankenregulierung zu begegnen, ist wenig erfolgversprechend. Die Antwort wäre damals gewesen – und wäre heute -, die besten Juristen anzuheuern mit dem Ziel, jede Regulierung zu umgehen, die den Gewinn reduziert.” (S. 105 f.) R.Z.