In einer Zeit, in der der Ruf nach dem Staat immer lauter wird, der Glaube, dass Regulierung die gesellschaftlichen Probleme lösen könne, allgegenwärtig ist und in der kein Tag vergeht, an dem Politiker nicht Vorschläge machen, wie man mehr „soziale Gerechtigkeit“ durch Umverteilung herstellen könne, ist es wichtiger denn je, dass viele Menschen jenen großen Denker kennenlernen, der „die Kräfte der spontanen Ordnung“ entdeckte. Karen Ilse Horn, frühere Wirtschaftsredakteurin der FAZ und Vorsitzende der Friedrich von Hayek-Gesellschaft hat ein Buch geschrieben, das in drei großen Abschnitten Leben und Karriere, Werk und Wirkung des Ökonomen und Sozialphilosophen darstellt.
Hayek war Zeit seines Lebens ein Nonkonformist, jemand, der gegen den Strom geschwommen ist und Konflikte, die sich daraus ergaben, nicht scheute. Er legte sich schon als Schüler mit seinen Lehrern an, musste zweimal das Gymnasium wechseln; erst wegen ungenügender Zeichenfertigkeiten und dann wegen eines Konfliktes mit einem Lehrer. In seiner Jugend war er, der später zu den schärfsten Kritikern des Sozialismus gehörte, selbst Sozialist. „Ich bin Ökonom geworden, weil ich Sozialist war. Weil ich die menschliche Vernunft überschätzt habe wie die meisten anderen“, so Hayek (zit. nach S. 34).
Als er nach seiner Promotion im Jahr 1921 vorübergehend in Wien in dem damals neu geschaffenen Amt für Kriegsschulden arbeitet, ist sein Vorgesetzter der bedeutende liberale Nationalökonom Ludwig von Mises. „Das Zusammentreffen mit Mises ist für Hayek in wissenschaftlicher als auch in weltanschaulicher Hinsicht von größter Bedeutung.“ (S. 44) Mises fördert Hayek, wo er nur kann.
1931 verlässt Hayek Österreich und zieht nach London, wo er bis 1950 bleibt. Er lehrt an der Universität, ist dort aber wissenschaftlich isoliert, weil vorherrschend der Einfluss von Keynes ist, dessen Denken in mancher Hinsicht das Gegenteil dessen von Hayeks ist. Schlagartig bekannt wird Hayek, als er 1944 sein Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ veröffentlicht, das sofort ein Bestseller wird. Für Hayek sind der Kommunismus und der Nationalsozialismus keine Antipoden, sondern zwei Spielarten des antiliberalen Totalitarismus. „Er formuliert eine eindringliche Warnung an die ‚Sozialisten in allen Parteien‘, dass die Ausschaltung der spontanen Koordinationsleistung des Marktes zwangsläufig in eine Spirale des Interventionismus führt und am Ende die Freiheit zerstört.“ (S. 67 f.)
Die Reaktionen auf sein Buch sind geteilt. Sein wissenschaftlicher Antipode Keynes lobt es, und es wird trotz der Papierknappheit im Krieg, die den Nachdruck erschwert, ein großer Verkaufserfolg. Aber „Politiker und Intellektuelle aus dem linken Spektrum kommen gar nicht wieder von der Palme herunter. Zur Verärgerung sehen sie umso mehr Anlass, als Hayek auch einen allzu blinden Glauben an die Meriten der Demokratie zu kritisieren wagt und mahnt, nicht der Ursprung, sondern erst die Begrenzung der Regierungsgewalt bewahre sie vor Willkür“. (S. 119)
Hayek kritisiert nicht nur den Kommunismus und den Nationalsozialismus scharf, sondern auch den modernen Wohlfahrtsstaat, „der sich mit seinen wuchernden, obschon gutgemeinten Eingriffen auf eine abschüssige Bahn begibt und in einer Planungsspirale und am Ende im Totalitarismus landen muss. Weshalb? Weil eine ‚Befreiung von wirtschaftlicher Sorge‘ überhaupt nur möglich ist, wenn man dem Individuum gleichzeitig die Notwendigkeit und die Möglichkeit der freien Wahl abnimmt. Und weil es in einer solchen Gesellschaft keine privaten Rückzugsmöglichkeiten mehr gibt. Weil die Gesellschaft als Ganzes auf ein einziges, absolut gesetztes Ziel – wie materielle Gleichheit oder das nur schwer sinnvoll zu bestimmende Gemeinwohl oder Glück – hin organisiert ist und keine autonomen Sphären anerkannt werden, in denen die Wünsche der Individuen wirklich zählen.“ (S. 125)
Aus persönlichen Gründen zieht er 1950 nach Chicago, wo er bis zum Jahre 1962 lebt und lehrt. Dort herrscht ein anderes geistiges Umfeld – Keynes und seine Theorien haben wenig Anhänger, dafür haben Milton Friedman und die Chicago School, die einen dezidiert marktwirtschaftlichen Ansatz vertreten, dort entscheidenden Einfluss. 1960 erscheint Hayeks Buch „Die Verfassung der Freiheit“, das – so Karen Ilse Horn – „zentrale Werk“ in Hayeks Oeuvre. (S. 140)
Hayek ist ein großer Anhänger des Fortschrittsbegriffes. Fortschritt bringt Unruhe, schafft aber gleichzeitig auch eine „notorisch unbeliebte materielle Ungleichheit in der Gesellschaft. Doch daran sollte man sich nicht festbeißen. Ungleichheit wirkt stets als Antrieb und Ansporn, erklärt Hayek, sie ist damit ein Quell sozialer Dynamik. Darauf zu verzichten, wäre zynisch gegenüber allen, die Mangel leiden. Und überhaupt, umgekehrt betrachtet: ‚Wenn das Ergebnis individueller Freiheit nicht zeigte, dass manche Lebensweisen erfolgreicher sind als andere, würde ein Großteil der Argumente zu ihren Gunsten hinfällig.“ (S. 145) Gleichheit vor dem Gesetz und materielle Gleichheit, so Hayek, schließen einander aus. (S. 149)
„Schon Ende der 50er Jahre betrachtet Hayek nicht mehr den Sozialismus sowjetischer Prägung als die eigentliche Bedrohung der Freiheit. Für weitaus gefährlicher hält er nun die schiefe Ebene, auf die der expandierende Wohlfahrtsstaat führt. Er drohe zu einem Haushaltsstaat zu verkommen, ‚in dem eine paternalistische Gewalt über den Großteil des Einkommens der Gemeinschaft verfügt und es den einzelnen in der Form und der Menge zuweist, die sie ihrer Ansicht nach brauchen oder verdienen‘.“ (S.150)
Nach seiner Zeit in Chicago wechselt Hayek nach Freiburg und Salzburg und erlebt schließlich noch den Zusammenbruch des von ihm wissenschaftlich und politisch bekämpften Sozialismus.
Im zweiten Teil ihres Buches fasst die Autorin auf etwa 120 Seiten die wichtigsten Aufsätze und Bücher von Hayek zusammen. Hayeks wissenschaftliche Überzeugungen lassen sich so zusammenfassen (S. 93f.): Konstruktivistische, die Spontaneität gesellschaftlicher Prozesse unterbindende Versuche einer Steuerung lassen bereits vorhandenes Wissen brach liegen und verzichten auf die Generierung neuen Wissens. Spontane Prozesse sowie gesellschaftliche Regeln und Institutionen, die sich im Ergebnis dieser Prozesse entwickelt haben – so wie Markt, Privateigentum und die Gleichheit vor dem Gesetz – sind jedweden Versuchen, eine „ideale Gesellschaft“ zu konstruieren, stets weit überlegen.
Im dritten Teil ihres Buches befasst sich Karen Ilse Horn mit der politischen und gesellschaftlichen Wirkung von Hayeks. Seine Gedanken beeinflussten die von Ronald Reagan und Margaret Thatcher betriebene Politik marktwirtschaftlicher Reformen und Liberalisierung. Heute, wo diese Politik von Politikern und Medien kritisch gesehen wird, weil damit angeblich die Ursachen für die Finanzkrise geschaffen wurden, werden auch Hayek und sein Denken kritisch gesehen – sie passen nicht zum heutigen Zeitgeist, der von Etatismus und Egalitarismus bestimmt ist. Nur zustimmen kann man der Autorin, wenn sie den vorherrschenden Deutungsmustern vehement widerspricht. Es war nicht vor allem Marktversagen, sondern Staatsversagen, das in die Finanzkrise führte. „So hatte die Federal Reserve den Leitzins über Jahre hinweg künstlich in lächerliche Niederungen gedrückt; die amerikanische Regierung mit ihrem Programm ‚Häuser für jedermann‘ unter den Konsumenten die Hybris und Sorglosigkeit geschürt. Darüber hinaus zwang sie die Banken per Gesetz, wenig kreditwürdigen Menschen Wohnungsbaudarlehen zu geben. Die mit Steuermitteln kräftig privilegierten Immobilienfinanzierer Freddi Mac und Fannie Mae ließ sie konkurrenzlos expandieren. Der Staat hat die Voraussetzungen für die Blase geschaffen; der subventioniere ‚Markt‘ hat sie genährt, und die Realität hat sie schließlich platzen lassen. All das ist geschehen im Geiste einer Verlockung, die nicht weniger kurzfristig ist als jedes unternehmerische Gewinnstreben: Wählerstimmenmaximierung.“ (S. 246)
Die Autorin teilt auch die Skepsis, die die Leser dieser IMMOBILIEN NEWS oder meines Blogs www.zitelmanns-finanzkolumnen.de vielleicht manchmal irritiert: „Wer das Ringen um die Zukunft der Währungsunion betrachtet, wer die Zähigkeit des Reformwiderstandes sieht, der kann heute mit Blick auf die Politik nicht anders, als skeptisch zu sein und sich nach der abstrakten Disziplin der Märkte zu sehnen.“ (S. 247)