David Marsh, Autor zahlreicher Bücher und regelmäßig Kolumnist unter anderem im HANDELSBLATT, ist einer der besten Deutschlandkenner. Gleich in den ersten Sätzen seines lesenswerten Buches zieht er ein ernüchterndes Fazit: „Die Eurokrise ist faktisch unheilbar, denn die verschiedenen Akteure blockieren sich gegenseitig. Für die mannigfachen Unwägbarkeiten der Währungsunion gibt es zwar Heilmittel, wie unzählige Experten attestieren können, aber entweder sind sie aller außer Reichweite oder die Patienten verweigern die Einnahme. Aus unterschiedlichen Gründen – seien sie politischer, ökonomischer, sozialer, kultureller, historischer Natur – sind die Auswege aus dem Währungsraum versperrt.“ (S. 14)
Normalerweise müssten die südeuropäischen Krisenstaaten ihre Währungen abwerten, um wieder wettbewerbsfähig zu werden – doch genau dies geht ja im gemeinsamen Währungsraum nicht. Politisch hat die Währungsunion, wie seinerzeit schon der brillante liberale Soziologe Ralf Dahrendorf vorausgesagt hatte – eher zu einer Spaltung als zur weiteren Einigung Europas beigetragen. Die von manchen Politikern verbreitete Hoffnung, gerade die gegenwärtige Krise berge die Chance zu mehr europäischer Einigung, hält Marsh für weltfremd: „Da die Bereitschaft zu einer vertieften Solidarität zwischen den besser und schlechter gestellten Ländern weiterhin abnimmt, sind in der kommenden Zeit Fortschritte zu einer wirklichen Fiskalunion höchst unwahrscheinlich.“ (S. 89)
Kritisch bewertet der Autor die Politik von Angela Merkel, die in Deutschland – aus meiner Sicht völlig zu Unrecht – ein hohes Ansehen gerade wegen ihrer Politik in der Eurokrise genießt. Merkel laufe permanent den Ereignissen hinterher. „Anstatt Führung zu zeigen, lebt sie in einem Zustand dauerhafter Überforderung, Verbündete wie Gegner werden von ihr permanent enttäuscht.“ (S. 17f.) „Anstatt einer grundlegenden Diagnose der Gesamtproblematik und treffsicherer Analysen der von der Allgemeinheit zu stemmenden Kosten treten bei Merkel und Schäuble – wie bei fast allen europäischen Führungspersonen – Verharmlosungen und vage Andeutungen hervor. Keine deutlichen Worte hören wir, sondern Signale der Fassungslosigkeit, keine klar formulierten strategischen Botschaften, sondern gut gemeinte Beschwichtigungen. Anstelle konkreter Prognosen nerven uns die Politiker immer wieder mit unverbindlichen Beteuerungen.“ (S. 20)
Doch es handelt sich letztlich nicht nur um ein Problem von Angela Merkel, sondern um ein Dilemma der deutschen Politik, das Marsh präzise herausarbeitet: Die alten europäischen Nationen – Großbritannien und Frankreich – verfügen über das politische Wissen, wie man strategisch eigene Interessen umsetzt. Mangels wirtschaftlicher Potenz nützt ihnen dieses aus historischer Erfahrung gewonnene Wissen jedoch wenig. „Deutschland dagegen, das über die ökonomischen Mittel zur Aufstellung einer eigenen strategischen Linie verfügt, besitzt in ausreichendem Maße weder Selbstvertrauen noch Weitsicht, noch Erfahrung, um dieses Ziel zu realisieren.“ (S. 34) Mit der Wiedervereinigung habe Deutschland zwar seine nationale und territoriale Integrität wiedererlangt, aber darin noch keine adäquate Rolle gefunden. (S. 35)
Zu Recht beklagt Marsh auch die Art und Weise, wie in Deutschland die Debatte über die Eurokrise geführt wird: „Da Warnungen von Andersdenkenden allzu oft als weltfremde Ausuferungen verspottet und sogar Einwände gegen die bestehende Euro-Ordnung als Verkörperungen von rechtsradikalem Gedankengut eingestuft werden, findet kein richtiger Dialog zwischen beiden Flügeln statt.“ (S. 91)
Kritisch sieht der Autor schließlich auch die Politik der EZB: Durch den Aktionismus der Zentralbank werde der Handlungsdruck auf die Regierungen abgebaut. Die starken Worte von Draghi, die vordergründig zu einer Beruhigung der Situation geführt haben, hätten zugleich weitere Strukturreformen im Euroraum verhindert und dazu beigetragen, dass der ohnehin nur spärlich ausgeprägte Reformwille in Ländern wie Italien weiter erlahme.
Das gegenwärtige Dilemma und dessen Ursachen beschreibt Marsh glänzend mit den Worten: „Wenn nämlich die Währung quasi als übergeordnetes Spielgeld ohne adäquate Bestimmungen und Bedingungen in einem Höhenflug der Ahnungslosigkeit von Politikern und Technokraten eingesetzt wird, um grandiose Zielvorgaben zu realisieren, dann werden schließlich alle darunter leiden: diejenigen, die geben, genauso wie diejenigen, die nehmen. Die überehrgeizige Leitidee, das Geldwesen politisch zu instrumentalisieren, ist nun einmal getestet und für bedürftig befunden worden.“ (S. 167)
Karl Otto Pöhl, ehemals Präsident der Deutschen Bundesbank, schreibt im Vorwort zu diesem Buch, Marsh beschreibe zwar überzeugend den Kern der Problematik, doch habe auch der Autor leider keine überzeugende Antwort auf die Frage, wie es jetzt sinnvoll weitergehen solle. (S. 10) Vielleicht gibt es eine solche Antwort auch gar nicht. Marsh meint, man werde kein Ende mit Schrecken erleben, „sondern eine schreckensvolle Endzeitstimmung, die nie zu Ende geht: kein Ende der Krise, sondern unvergängliche Krisenendlosigkeit“. (S. 161) Nun, dies sehe ich anders: Die Krise wird natürlich irgendwann eine Lösung finden, doch diese wird nicht von den Politikern gefunden werden, sondern die Marktkräfte werden früher oder später eine Lösung erzwingen, die jedoch zu einem Ende des Eurosystems in seiner jetzigen Form führen wird. Bis dahin werden die Politiker und die EZB mit aller Kraft zu verhindern suchen, dass es dazu kommt – und damit die Situation jeweils kurzfristig beruhigen und langfristig noch schwieriger und unlösbarer machen.
Das Buch von Marsh regt zum Nachdenken an und enthält viele kluge und treffsichere Beobachtungen. Insgesamt ist es zur Lektüre zu empfehlen, obgleich es etwas störend wirkt, dass es eher wie eine Sammlung aneinander gereihter Kolumnen wirkt, denn als ein Buch aus einem Guss. R.Z.