Viele Führungskräfte verlassen sich auf Modelle aus dem Studium oder der Business-School. Diese Modelle können aber mit den immer komplexer werdenden Prozessen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht mithalten. Auch in chaotischen Systemen sinnvoll zu agieren, haben jedoch die wenigsten von uns gelernt. Lars Vollmer zeigt die Folgen: Fehlentscheidungen, Karriereknicks, Firmenpleiten.
Das muss nicht so sein. Der Fehler liegt Vollmer zufolge in einer oft zu linearen Denkweise, die ausschließlich auf einer Ebene stattfindet. Die gegebenen Umstände werden akzeptiert, die geltenden Regeln umgesetzt. Es gibt feste Prozesse zur Kundengewinnung, fixierte Kostenpläne, normierte Stellenbeschreibungen, Checklisten, die brav abgearbeitet werden.
Standardisierte Prozesse nach dem “Wenn-Dann”-Prinzip sind ja am Anfang durchaus etwas Gutes: Sie helfen dabei, komplexe Strukturen in den Griff zu bekommen. Nur: Einmal gültig, werden sie zu selten den sich wandelnden Gegebenheiten angepasst. Vollmer macht deutlich: Manager, die sich nach solchen Regelwerken richten, sind keine Entscheider, sondern Vollstrecker, quasi die Exekutive der Rahmenbedingungen.
Ein guter Manager sollte sich bewusst machen, dass Lösungen oft auf einer Ebene liegen, die ein oder zwei Etagen über der Problemebene liegt. Geht das Produkt fehlerhaft raus, weil die Checkliste nicht korrekt abgearbeitet wurde? Oder hat sich das Produkt inzwischen so verändert, dass die Checkliste nicht mehr dazu passt? Und erzeugt der Mitarbeiter nicht mehr so viel Output, weil er faul geworden ist? Oder haben sich seine Aufgaben so verändert, dass sich der Output nicht mehr nach dem alten Schema messen lässt?
Vollmer kritisiert auch, dass allzu viele Manager nach dem Prinzip der Stückkosten aus dem 20. Jahrhundert noch immer vornehmlich auf die Kostenkalkulation schauen, nicht aber die Gesamtperformance im Blick haben. Ihre Sorge gilt den Kosten je Einheit, egal ob das ein Automotor, eine Unterrichtsstunde oder eine neu konzipierte Homepage ist. Die Kosten sollen reduziert werden, damit der gleiche Output weniger Input kostet, – was zunächst einmal wirtschaftlich klingt. Doch in einer komplexen Welt, stellt Vollmer fest, verbessert “der Wunsch, möglichst wenig Personal einzusetzen und alle Maschinen voll auszulasten, nicht die Gesamtwirtschaftlichkeit der Unternehmung, sondern lediglich die Kostenkalkulation”. Die Qualität aber sinke, Mehrfachbearbeitung werde notwendig, unliebsame Überraschungen häufiger. Die Gleichung nach Vollmer lautet: “Bessere Kalkulation = schlechtere Gesamtperformance”.
Als positives Gegenbeispiel nennt Vollmer das mit Komplexität vertraute “eXtreme Programming” aus der Softwareentwicklung: Hier sitzen zwei Leute gemeinsam vor dem Bildschirm – der eine schreibt den Code, der andere überprüft in Echtzeit, was der Kollege fabriziert. Durch die klassische Controller-Brille sei das extrem ineffizient, die Produktivität halbiere sich scheinbar. Aber die Qualität des Codes “steigt dramatisch”. Ein Wettbewerbsvorteil.
Das heißt natürlich nicht, dass Kosten kein Thema mehr sind. Aber Manager müssen Vollmer zufolge viel stärker die Gesamtentwicklung im Blick haben, als es heute der Fall ist. Und sie sollten Mut haben, außerhalb des bisherigen Rahmens zu agieren. Denn innerhalb eines Systems immer “besser” zu werden, helfe nicht. Wenn das bestehende System nicht den gewünschten Output liefert oder seinen Akteuren nicht ermöglicht, richtig zu agieren, dann bedeutet das, dass das System noch nicht gut genug oder kontraproduktiv ist. Vollmers Rat: Wechseln Sie vom Teleobjektiv auf den Weitwinkel – die einzige “sinnvolle und wettbewerbsfähige Methode in der verrückten Welt der dynamischen, komplexen Systeme.” S.S.