Der Autor, Verfasser eines der besten Bücher über Warren Buffett, hat bei der Analyse erfolgreicher Anleger herausgefunden: „Wenn man die großen Köpfe der Geldanlage studiert, ragt ein Charakterzug heraus: das breite Spektrum ihrer Interessen. Wenn man sein Blickfeld erst einmal erweitert hat, kann man seine Beobachtungen vollständiger verstehen und setzt seine Erkenntnisse ein, um einen größeren Anlageerfolg zu erzielen.“ (S. 154) Denn die einzige Möglichkeit, bessere Ergebnisse zu erzielen als andere bzw. den Aktienmarkt outzuperformen, bestehe nun einmal darin, die Daten auf eine Art zu interpretieren, die sich von den Interpretationen anderer Menschen unterscheidet. Das bedeute, dass man auch Informations- und Erfahrungsquellen brauche, die anders seien. (S. 154)
„Wie wir über die Geldanlage denken, entscheidet letztlich darüber, wie wir bei der Geldanlage handeln. Wenn wir uns bewusst einen erkenntnistheoretischen Rahmen aneignen können… können wir viel erreichen, was unsere Investmentergebnisse betrifft.“ (S. 131)
Der Autor plädiert dafür, dass sich Anleger ein breites Wissen in Disziplinen wie Physik, Biologie, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Literatur, Mathematik und Entscheidungstheorie aneignen. In den einzelnen Kapiteln versucht Hagstrom, zu belegen, was das Wissen über Grunderkenntnisse in diesen Disziplinen einem Investor bringen könne. Sein Kronzeuge ist Charlie Munger, der zusammen mit Warren Buffett seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Investoren der Welt gehört. „Für einen Mann, der nur einen Hammer hat, hat jedes Problem große Ähnlichkeit mit einem Nagel“, so Munger. „Zum Teil liegt es auf der Hand, wie man die Tendenz des Mannes mit einem Hammer beheben kann: Wenn jemand über zahlreiche Kenntnisse in mehreren Disziplinen verfügt, hat er per definitionem zahlreiche Werkzeuge zur Hand, sodass die nachteiligen kognitiven Wirkungen der Tendenz zum ‚Mann mit Hammer‘ begrenzt werden. Wenn ‚A‘ eine enge professionelle Lehrmeinung ist und ‚B‘ aus umfassenden Konzepten anderer Disziplinen besteht, die einen großen zusätzlichen Nutzen bieten, dann ist derjenige, der sowohl ‚A‘ als auch ‚B‘ besitzt, eindeutig besser dran als der Arme, der nur ‚A‘ besitzt. Wie könnte es auch anders sein?“ (S. 235)
Tatsächlich fällt auf, dass viele erfolgreiche Investoren – so etwa Jim Rogers, George Soros, Warren Buffett oder Charlie Munger – sehr belesen sind, und zwar in unterschiedlichsten Disziplinen. So gilt beispielsweise das Interesse von Rogers vor allem den Disziplinen Geschichte und Philosophie und er empfiehlt jedem, der ein erfolgreicher Investor werden will, dass er Geschichte und Philosophie studieren solle.
Warum Menschen, die über den Tellerrand von Finanznachrichten hinausblicken, oft bessere Anleger sind, ist vielleicht nicht ganz klar und bleibt auch nach diesem Buch ein erklärungsbedürftiges Phänomen. Aber dass es so ist, ist unbestreitbar. Der Versuch des Autors, am Beispiel verschiedener Disziplinen zu zeigen, welchen Nutzen diese für einen Investor haben, fällt aus meiner Sicht nur teilweise überzeugend aus. Manchmal wirkt es ein wenig konstruiert oder weit hergeholt. Bei einigen Disziplinen liegt der Nutzen für Investoren auf der Hand, so etwa bei Mathematik oder Psychologie. Leider fehlt ein Kapitel über Geschichte.
Wahrscheinlich schult und entwickelt eine intensive Beschäftigung mit Geistes- und Naturwissenschaften einfach die Denkfähigkeit und die Bereitschaft, auch unorthodoxe Antworten auf Fragen zu geben und sich dabei gegebenenfalls in Widerspruch zu vorherrschenden Ansichten zu setzen. Zudem sind Menschen, die sich für mehrere Fachdisziplinen interessieren, wohl einfach etwas neugieriger als derjenige, der sich sein Leben lang nur für ein einziges Themengebiet interessiert. Neugier und die Fähigkeit, unabhängig zu denken, gegen den Strom zu schwimmen und Meinungen anderer kritisch zu bewerten, sind wichtige Voraussetzungen, um als Investor erfolgreich zu sein.
Ich habe bei der Lektüre dieses Buches weniger von den in den einzelnen Kapiteln dargestellten Analogien zwischen Erkenntnissen in verschiedenen Wissenschaften und der Finanzanlage profitiert. Das mag anderen Lesern anders gehen. Mich hat das Buch aber zum Nachdenken darüber angeregt, warum ein breiteres Interessenspektrum für einen Investor hilfreicher ist als eine zu enge Spezialisierung ausschließlich auf Ökonomie und Finanzmarktthemen. Bislang hatte ich die Meinung vertreten, dass eine breite Allgemeinbildung nicht unbedingt förderlich ist, um Erfolg im Leben und Erfolg als Investor zu haben. Ganz bin ich von dieser Meinung immer noch nicht abgerückt. Aber ich habe sie nach der Lektüre dieses Buches modifiziert. Und was kann sich ein Autor mehr wünschen, als dass es ihm gelingt, beim Leser einen Prozess des Nachdenkens und Infragestellens von Überzeugungen anzuregen, die dieser vor der Lektüre des Buches vertreten hat? Insofern war die Lektüre dieses Buches für mich sehr gewinnbringend, auch wenn mich die einzelnen Argumente in den Kapiteln nicht unbedingt überzeugt haben. R.Z.