Kann man Charisma erlernen? Die meisten Menschen werden skeptisch sein. Charisma, so die verbreitete Meinung, hat ein Mensch oder er hat es nicht. Die Autorin vertritt die Gegenthese: Charisma sei erlernbar, so wie andere Dinge im Leben auch.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Es gibt Menschen, die haben Charisma und andere, die haben es nicht. Und nicht jeder wird zu einem Bill Clinton oder Barack Obama, auch wenn er noch so viele Bücher über Charisma liest oder entsprechende Verhaltensweisen bewusst einübt. Andererseits: Jeder kann sich verbessern, und dafür ist dieses Buch eine Hilfe.
Wie bei allen Ratgeber-Büchern werden Sie auch hier viele Dinge finden, die Sie an anderer Stelle schon gelesen haben. Bitte reagieren Sie darauf nicht mit der überheblichen Haltung: „Das weiß ich doch schon.“ Es geht nicht um Wissen. Es geht um die Anwendung des Wissens. Und deshalb ist es gut, wenn man Dinge in Erinnerung gerufen bekommt, die man vielleicht schon „weiß“, aber eben im täglichen Leben nicht beherzigt.
Statt das Buch systematisch zusammenzufassen, will ich einige Hinweise und Tipps herausgreifen, von denen ich denke, dass es sinnvoll ist, sie zu beherzigen oder auszuprobieren:
- „Achten Sie darauf, nicht zu schnell und nicht so oft mit dem Kopf zu nicken.“ (S. 19) Das leuchtet ein. Denn Menschen, die allzu beflissen nicken (manchmal bevor sie überhaupt wissen, was der andere wirklich sagen will), wirken bestimmt nicht charismatisch, sondern unsicher und bedürftig.
- „Halten Sie zwei Sekunden lang inne, bevor Sie das Wort erheben.“ (S. 19) Dieses Tipp fand ich gut. Mir fiel dabei ein Kunde ein, der genau das macht. Mir vermittelt sein Verhalten stets das Gefühl, dass er gut zugehört hat, meine Worte sorgfältig abwägt und auch selbst gut überlegt, was er sagen möchte.
- „Der perfekte Handschlag“ – unter dieser Überschrift finden sich Tipps auf Seite 161 f. Der Handschlag ist für den ersten Eindruck sehr wichtig. Ich gebe zu, dass ich selbst nicht so gerne Menschen die Hände gebe, da ich glaube, dass dadurch häufig Erkältungskrankheiten übertragen werden. Aber die Autorin bringt überzeugende Argumente, wie wichtig ein Handschlag ist – und gibt praktische Tipps dafür, was man dabei „richtig“ und was man „falsch“ machen kann.
- Besser zuhören. Das haben Sie, so wie ich auch, sicherlich schon oft gelesen und gehört. Aber haben wir das auch beherzigt? Ich habe mir jedenfalls notiert, dass ich diese wichtige Fähigkeit verbessern muss. Die Autorin, die als Coach für Charisma arbeitet, betont die extreme Wichtigkeit dieser Fähigkeit: „Ohne diese Kunst gibt es kein Charisma, und die Meister des Charismas stellen sie in jeder Kommunikation unter Beweis.“ (S. 169) Wichtig ist, den anderen wirklich NIE zu unterbrechen und eine Pause zu machen, bevor man auf die Äußerung des anderen reagiert. Man solle etwa zwei Sekunden verstreichen lassen, bevor man antwortet. Also: „Der andere spricht seinen Satz zu Ende. Ihr Gesicht verarbeitet das Gesagte. Ihr Gesicht reagiert. Jetzt erst folgt ihre Antwort.“ (S. 172) Die Autorin gibt ein gutes Beispiel, wie man reagieren soll, wenn einem jemand ein Kompliment macht. Jemand traf Bill Clinton auf einem Flur und sagte ihm spontan: „Ehm, danke für den Dienst, den Sie diesem Land erwiesen haben.“ Wie reagierte Clinton: „Er blieb stehen und schien einen Moment zu überlegen, als sei ihm dieser Gedanke noch nie in den Sinn gekommen. Dann schien er das Kompliment sich setzen zu lassen, als wäre es das Netteste, was er je zu hören bekommen hätte. Er ließ die Schultern sinken, brach in dieses breite Heureka-Lächeln aus und reagierte, als sei er der Indianer und ich der Häuptling: ‚Oh, war mir eine Ehre’.“ (S. 177 f.)
- Pausen sind auch sinnvoll, während man spricht. „Menschen, die Selbstvertrauen ausstrahlen, legen beim Sprechen häufig Pausen ein. Sie halten nicht nur am Ende eines Satzes ein, zwei Sekunden inne, sondern immer wieder auch mitten im Satz. Damit signalisieren sie, dass sie sich ihrer Autorität bewusst sind und nicht damit rechnen, unterbrochen zu werden.“ (S. 185)
- Wärme: Dass der Eindruck von Macht – neben der Präsenz – wichtig für eine charismatische Ausstrahlung ist, wird wohl jeder wissen. Aber wussten Sie auch, wie wichtig es ist, dass Sie Wärme ausstrahlen? Dass Sie dem anderen vermitteln: „Ich meine es gut mit dir“, „Ich werde meine Macht FÜR DICH einsetzen“, „Ich mag dich“. Es ist entscheidend, auch diese Signale auszustrahlen, und eben nicht nur kalte Macht.
Prüfen Sie sich selbst, wie stark Sie Macht, Wärme und Präsenz ausstrahlen. Wo liegen Ihre Defizite? Auch wenn Sie – wie in allen Selbsthilferatgebern – nicht alle Tipps überzeugend finden werden, so regt Sie dieses Buch jedoch mit Sicherheit dazu an, über Ihr eigenes Auftreten, über Ihre Wirkung auf andere Menschen nachzudenken.
Zu Recht betont die Autorin, dass es allerdings nicht viel bringt, irgendwelche „Körpersprache-Signale“ zu erlernen. Wir können nicht Hunderte Muskeln, die Stimme, den Gesichtsausdruck etc. kontrollieren. Wir strahlen aus, was in uns ist. Wer selbstbewusst ist, es gut mit anderen meint und sich für andere interessiert, wird fast automatisch jene Signale ausstrahlen, die als charismatisch wahrgenommen werden. Wer dagegen unsicher ist, wer es nicht gut mit seinen Mitmenschen meint und wer sich nur für sich selbst interessiert, wird dies meistens auch dann ausstrahlen, wenn er sich bemüht, all dies durch den Einsatz von bewusst gesteuerten Regeln der Körpersprache zu kaschieren. R.Z.