„Die Klitschkos“, so schreibt der Autor, „kommen wie zwei blütenweiße Ritter daher. Unvermittelt tauchen sie vor unserer Burg auf und erweisen sich beim Turnier als furchtbar und unüberwindlich – aber sie brauchen nur ihre Rüstung abzulegen, schon würden wir ihnen bedenkenlos unsere Kinder anvertrauen. Wie es aussieht, haben die Klitschkos einen neuen Typus erfunden, den sie meisterlich verkörpern: den White-Collar-Fighter.“ (S. 7)
Kurz die Daten: Vitali Klitschko (Dr. Ironfist), geboren 1971, begann 1985 bis 1992 als Kickboxer, wechselte dann aber zum Boxen – zunächst als Amateur bis 1996 und dann als Profi. Als Profi erzielte er 44 Siege und nur zwei Niederlagen. 1999 wurde er WBO-Weltmeister im Schwergewicht und verteidigte diesen Titel zwei Mal. 2004 wurde er erstmals WBC-Weltmeister im Schwergewicht und verteidigte diesen Titel bislang zehn Mal. Sein Bruder Wladimir, 1976 geboren, ist seit 1996 im Profiboxsport. Er siegte 62 Mal und erlitt nur drei Niederlagen. 53 dieser Siege erzielte er durch K.o. Er ist aktuell Weltmeister im Schwergewicht nach Version der IBF, WBO, WBA und IBO und gilt als bester Schwergewichtsboxer.
Beide Brüder sind auch in der ukrainischen Politikbewegung aktiv, und Vitali Klitschko gewann im Mai 2014 im dritten Anlauf die Bürgermeisterwahl in Kiew mit über 57%.
Vorbild für Klitschko war in seinen jungen Jahren der österreichische Bodybuilder Arnold Schwarzenegger. „Er besorgt sich über dunkle Kanäle Raubkopien seiner Filme auf Video. Die ersten Schwarzenegger-Poster tauchen im Kinderzimmer der Klitschkos auf. Zwei Jahre später wird alles voll damit sein… Immerhin löst sein Idol Arnold Schwarzenegger bei ihm eine Gedankenkette aus, die in sich durchaus logisch erscheint: Mit einem derartigen Körper kann man auch ohne Waffen jeden Gegner, in einer direkten Konfrontation Mann gegen Mann, bezwingen. Und der Sieger in einem solchen Kräftemessen erscheint anschließend in einem ganz anderen Licht als etwa ein Sieger im Fußball oder Rudern oder Tischtennis, das Vitalis Eltern bevorzugen.“ (S. 46)
Vitali begann nicht als Boxer, sondern als Kickboxer – was damals jedoch in der UdSSR verboten ist. Er gewinnt die Stadtmeisterschaft von Kiew, dann die Republikmeisterschaft. „Nach drei Jahren hat er in der gesamten Sowjetunion keinen ernsthaften Konkurrenten mehr, er muss sie auf den internationalen Matten suchen.“ (S. 63)
Als er das erste Mal in Amerika ist, ist er beeindruckt. Zu seinem Vater, einem überzeugten Offizier der sowjetischen Armee und Anhänger der kommunistischen Ideologie, sagt er: „Was für einen Mist hören wir hier jeden Tag? Amerika ist das schönste Land der Welt.“ Der Vater will das nicht hören: „Man hat euch nur die schönsten Ecken gezeigt. Amerika ist grausam.“ Vitali sagt, sein Ehrgeiz sei es seitdem gewesen, „unseren Vater nach Amerika zu bringen, damit er das mit eigenen Augen sieht. Als er es dann sah, war er frustriert“. (S. 65)
Der Autor zeigt auf, dass sich die Klitschkos auch von ukrainischen Mafiosi engagieren ließen. Er schreibt davon in einer differenzierten Sicht – ohne die Tatsachen zu beschönigen, aber auch nicht ohne die Tatsachen anzuführen, die diese Verbindungen verstehbar machen. „Was ihn dazu bewegt, sich mit dem kriminellen Pack gemein zu machen? Ganz einfach: Er muss leben, und er muss trainieren können. Die staatliche Sportförderung ist zusammengebrochen, dem Armeesportclub fehlt es an allem… Kurzum, alles scheint verloren, denn ein Ende der ukrainischen Misere ist nicht absehbar, und jeder ist auf der verzweifelten Suche nach Geldgebern.“ (S. 85)
Über viele Jahre hatten die Klitschkos, so der Autor, eine enge geschäftliche Beziehung zu Viktor Rybalko, genannt Rybka. „Er zählte zu dem exklusiven Kreis der acht wirklichen Paten von Kiew.“ (S. 89) Rybka habe ihnen das Angebot gemacht, sie als Boxer zu managen und zu promoten. „Man kann sich denken, mit welcher Erleichterung die Klitschkobrüder die überraschende Offerte quittiert haben, sie lassen sich diese Chance nicht entgehen – die Alternative wäre eine kriminelle Laufbahn und der Verzicht auf all ihre Träume.“ (S. 91) Später gesellt sich noch ein anderer Oligarch zu den Förderern, nämlich Igor Bakai. Dieser galt „als einer der zwielichtigsten Männer des Landes“, so der Autor. (S. 113) Die Klitschko-Brüder schließen eine Vereinbarung, wonach sie 20% aller Einnahmen aus den Kämpfen und aus der Werbung an das Gespann Rybka/Bakai abführen. (S. 112)
2001 schreibt Vitali nebenbei seine Dissertation, die er 2001 an der Bundeswehrhochschule in Hamburg vorstellt. Trotz intensiver Recherchen sei es Journalisten nicht gelungen, zu belegen, dass es sich hierbei – wie bei manchen deutschen Politikern – um ein Plagiat bzw. das Werk eines Ghostwriters gehandelt habe. „Jede Zeile ist von Vitali vermutlich selbst verfasst, die Tätigkeit eines Ghostwriters nicht zu belegen.“ (S. 97)
Beide Brüder wandern nach Deutschland aus, wo das Boxen einen großen Boom erlebt. Schon nach kurzer Zeit erlangen sie in Deutschland eine große Popularität. „Das Deutschland der 90er Jahre ist das Mekka des Boxens, gerade für Sportler aus Osteuropa.“ (S. 124) Sie lassen die beiden namhaftesten Box-Manager der USA, Don King und Bob Arum, abblitzen und entscheiden sich für Klaus-Peter Kohl vom Universum-Boxstall. Kohl verpflichtet sich vertraglich, die beiden in unterschiedlichen Verbänden registrieren zu lassen. (S. 145)
Ihr Markenzeichen: Sie werden die Boxer der Herzen, keine Skandale, keine Allüren. Keine drei Turbo-Porsche wie der Berliner Halbschwergewichtler Thomas Ulrich, keine elf Luxuslimousinen wie der Kubaner Carlos Gomez und keine 300 Nobelkarossen wie Mike Tyson. „Jeder Klitschko hat nur einen Mercedes-Geländewagen, trotz der Millionen, die sie inzwischen verdienen.“ (S. 154)
Die steile Karriere der beiden wird immer wieder unterbrochen – durch ernste Verletzungen am Knie oder an den Bandscheiben. Immer wieder spekulieren die Medien über ein Ende der Karriere, aber immer wieder erweisen sich diese Spekulationen als unbegründet. Doch es sind nicht nur Verletzungen, die die Boxer zurückwerfen. Wladimir sei überheblich geworden, leichtfertig, so wirft ihm sein Bruder Vitali vor. Und habe damit die Niederlage gegen Sanders selbst mit verschuldet. (S. 177 f.) Vitali, der Bruder, rächt sich im Kampf gegen Sanders für die Niederlage, die sein Bruder erlitten hat. Es scheint so, als sei er eindeutig der bessere Boxer. „Von Wladimir Klitschko spricht im Moment niemand mehr.“ (S. 198) Es kommt vorübergehend sogar zum Zerwürfnis zwischen den Brüdern, das der Autor im 20. Kapitel eingehend schildert und analysiert.
Doch am 9. November 2005, nach einem Meniskusriss am rechten Knie und einem Kreuzbandriss, erklärt auch der 34-jährige Vitali das Ende seiner Profikarriere. „Ich gehe in die Politik“, kündigt er seiner Familie und der Öffentlichkeit an. (S. 213)
Wladimir ist inzwischen in den Boxring zurückgekehrt. „Fortan ist Wladimir der einzige Klitschko im Boxring. Allein zuständig und allein verantwortlich für die Familienehre und die Weltmeistergürtel. Früher hatte der große Bruder seine Scharten ausgewetzt, von nun an gibt es keinen Rächer mehr.“ (S. 214) Ihm gelingt es, sowohl den IBF- als auch den IBO-Weltmeistertitel zu erringen, und er wird in der unabhängigen Rangliste des angesehenen Boxmagazins „The Ring“ als weltbester Schwergewichtsboxer geführt. „In zwei Jahren von ganz unten wieder nach ganz oben – das ist schon ziemlich sensationell“, so konstatiert der Autor. (S. 225)
Doch Ende 2007 erklärt auch sein Bruder offiziell seine Rückkehr ins Boxgeschäft, nimmt das Training wieder auf und beschließt nach erneuten Verletzungen, keinen Aufbaukampf zu machen, sondern gleich um die Weltmeisterschaft zu kämpfen. Am 11. Oktober 2008 holt er sich in der mit 14.000 Zuschauern ausverkauften Berliner O2-World den WBC-Weltmeistertitel zurück. „Jetzt haben die Klitschkos Geschichte geschrieben. Jetzt sind sie beide ganz oben. Jetzt ist das Brüderprojekt am Ziel.“ (S. 227)
In den letzten Kapiteln wird das politische Wirken der Klitschkos beschrieben, das einen vorläufigen Höhepunkt mit der Wahl Vitalis zum Kiewer Bürgermeister gefunden hat. Insofern hat die Karriere tatsächlich Ähnlichkeiten mit Arnold Schwarzeneggers Leben, der ja für beide ein Vorbild war. Auch Schwarzenegger nutzte die Bekanntheit, die er im Bodybuilding und im Film gewonnen hatte, für eine politische Karriere. Wir dürfen neugierig sein, wie der Weg der Klitschkos weitergehen wird. In dem Buch wird deutlich, dass ihr Erfolgsgeheimnis vor allem in der mentalen Stärke lag – immer wieder Niederlagen und Rückschläge, so etwa Verletzungen, zu überwinden und die Kraft für einen neuen Anlauf zu gewinnen. R.Z.