Am Unternehmen Zalando scheiden sich die Geister: Die einen bewundern oder fürchten das Unternehmen als neuen Einzelhandelsgiganten, der das Online-Zeitalter im Verkauf von Schuhen und Textilien eingeleitet hat. Die Umsatzzahlen sind beeindruckend: Gestartet im Jahr 2009 mit einem Umsatz von sechs Mio. Euro, war bereits 2012 die Milliarden-Umsatz-Grenze überschritten. Allerdings hat das Unternehmen bis heute keinen Gewinn gemacht (sieht man einmal von einer jüngst, PR-wirksam kurz vor dem Börsengang lancierten Umsatzmeldung zum H1 2014 ab).
Dass das Unternehmen bis heute keinen Gewinn gemacht hat, ist dabei an sich nicht verwunderlich und für sich genommen kein Grund zur Skepsis. Auch bei Amazon dauerte es zehn Jahre, bis erstmals ein Gewinn erwirtschaftet wurde.
Die Zalando-Gründer und die Investoren, die an das Unternehmen glauben, argumentieren: In der Gründungsphase gehe es darum, vor allem die Marktpräsenz auszuweiten, und zwar so rasch wie irgend möglich. Und dies international. Denn nur derjenige Player, der sich als Erster und Größter im Markt positioniert, wird künftig das Geschäft machen. Im Internet gelte, mehr als sonst noch im Geschäftsleben: „The winner takes it all“. Deshalb sei es gerechtfertigt, auch mit extrem hohen Marketingkosten die Marktpräsenz und den Umsatz zu steigern.
Kritiker wenden ein: So wie das Unternehmen wirtschafte, werde es niemals profitabel sein. Es sei keine Kunst, mit hunderten Millionen Investments das Umsatzvolumen künstlich aufzublähen und jeden Kunden sehr teuer einzukaufen. Zudem sei die Retourenquote (also der Anteil der vom Kunden zurückgeschickten Schuhkartons) bei Zalando mit mindestens 50% so hoch, dass auf diese Weise dauerhaft ein wirtschaftliches Handeln unmöglich sei. Das Ziel der hinter dem Unternehmen stehenden Investoren (insbesondere der Samwer-Brüder), so die Kritiker, sei es, durch teuer erkauften Umsatz die Bewertung nach oben zu treiben und dann in einem IPO Kasse zu machen.
Der Autor dieses Buches, ein ausgewiesener Einzelhandelsexperte und Chefredakteur der renommierten Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“, zeichnet ein differenziertes Bild des Unternehmens Zalando – nicht ohne Bewunderung, aber ebenso nicht, ohne die kritischen Punkte deutlich zur Sprache zu bringen. Wenn das Unternehmen, wie angekündigt, demnächst an die Börse geht, sollte jeder potenzielle Investor zuvor dieses Buch von vorne bis hinten lesen.
Die wesentlichen Fakten der Erfolgsgeschichte sind rasch erzählt (die Zahlen, die nachfolgend genannt werden, sind vom Stand Mai 2013): Zalando hat 15 Mio. Kunden, die schon mehrfach bestellt haben, monatlich kommen 500.000 Neukunden hinzu. Eine Million Pakete verschickt Zalando monatlich in Deutschland und 13 weitere europäische Länder. Angeboten werden 150.000 Mode- und Schuhprodukte von 1500 Marken. Die Internetseite des Unternehmens verzeichnet nach Unternehmensangaben 100 Mio. Besucher im Monat (S. 10 f.). 95% aller Deutschen kennen heute Zalando, damit ist das eine der bekanntesten Einzelhandelsmarken.
Da die Samwer-Brüder, die zu den wesentlichen Investoren gehören, in der Vergangenheit teilweise Unternehmen „aufgepumpt“ haben, um dann einen gehörigen Profit beim Exit zu machen und später zuzuschauen, wie das Unternehmen in sich zusammenfiel, ist man misstrauisch, ob sich das bei Zalando wiederholen werde.
Bekannt wurde Zalando durch eine tolle Fernsehwerbung („Schrei vor Glück oder gibs zurück“, der zweite Teil des Spruches wurde wegen der sehr hohen Retourquote später weggelassen). „Dass Zalando als junges, längst nicht profitables Unternehmen neben der Werbung im Web auch so häufig im teuren Fernsehen vertreten ist, schürt bei den Kritikern den Verdacht: Das Unternehmen soll schnell seinen Umsatz aufblasen, damit die Investoren ihre Anteile bald zu einem hohen Preis verkaufen können… Werbeexperten haben ausgerechnet, dass Zalando zeitweise rund 90 Mio. Euro pro Jahr in die Fernsehwerbung gesteckt hätte. Das Unternehmen äußert sich dazu nicht.“ (S. 55)
Die Vertreter des Unternehmens verweisen dagegen darauf, dass eine rasche Umsatzsteigerung essentiell ist und dass in den ursprünglichen Kernmärkten Deutschland, Österreich und der Schweiz angeblich bereits eine schwarze Null erwirtschaftet werde. „Hier, in den ‚älteren‘ Zalando-Märkten, wenn man die Schweiz mal mit dazurechnet, ging es schon nicht mehr um das Besetzen des Marktes, hier wurden die Systeme bereits stärker auf Dauerhaftigkeit und Effizienz getrimmt.“ (S.66)
Leider bekommt man auf viele wesentliche Fragen, die Zalando gestellt werden, keine Antwort vom Unternehmen. Transparenz, so der Eindruck, den der Leser des Buches gewinnt, ist keine Stärke des Unternehmens. Das wird sich vermutlich demnächst beim Börsengang ändern müssen.
Im Börsenzulassungsprospekt wird sicherlich auch auf das für die Beurteilung von Zalando wichtige Thema Retouren eingegangen. Wie hoch ist die Retourenquote? Dazu gab es lange Zeit keinerlei Informationen von Zalando. Spekuliert wurde über 70 bis 80 Prozent. Das ist sehr viel, denn alles über 30 bis 40 Prozent wird schwierig, da Retouren extrem viel kosten. Die Zalando-User sind zu 75 Prozent weiblich. Sie bestellen sich gerne schon mal drei Paar Schuhe in verschiedenen Farben und lassen dann die beiden zurückgehen, die ihnen nicht gefallen. Schließlich kostet die Rücksendung ja kein Geld. Und man kann sich 100 Tage Zeit lassen, seine Meinung zu ändern. Manche feiern auch mit Freundinnen eine Fashion-Party und geben alle oder fast alle Kleidungsstücke wieder zurück.
Nachdem das Unternehmen sich lange gar nicht zur Retourenquote geäußert hatte, wurde dann irgendwann erklärt, die Zahl liege „bei etwa 50 Prozent“ (S.166). Wichtig wird sein zu erfahren, wie die Zahl genau ermittelt wird, wie sie sich im Zeitablauf entwickelt usw. Und das sollte durch einen WP bestätigt sein, so finde ich. Und dann müsste das Unternehmen vorrechnen, bei welcher Conversion-Rate einerseits und welcher Retourquote andererseits man profitabel arbeiten kann. Interessant wäre es auch zu erfahren, wie teuer die Bearbeitung einer Retour ist und mit welchem Abschlag zum ursprünglichen Preis die Produkte im Durchschnitt verkauft werden können.
Zalando behandelt all das als Geschäftsgeheimnis. Damit wird aber dass Misstrauen eher genährt. Für den Börsengang empfehle ich dem Unternehmen ein radikales Umsteuern in der Kommunikation in Richtung vollständige Transparenz. Transparenz schafft Vertrauen – dies gilt zumindest dann, wenn man nichts zu verbergen hat. R.Z.