Dies ist eines der wichtigsten Bücher, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Der Autor zeigt, wie sich in Deutschland eine „Unkultur des Misstrauens“ (S. 103) entwickelt hat. Jedes größere Projekt – ob Kohlekraftwerk oder Stromtrassen – kann, wenn überhaupt, nur mit erheblichen Verzögerungen durchgesetzt werden.
Wer bei Google „Bürgerinitiative gegen“ eingibt, so der Autor, erhalte einen Mausklick später mehr als eine halbe Million Möglichkeiten gegen etwas zu sein – gegen Flughäfen, LKW-Verkehr, Windkraft, Stromleitungen, Gasbohrungen usw. (S. 7) Übrigens: Das schrieb der Autor vor drei Jahren. Als ich dieses Wochenende den Suchbegriff „Bürgerinitiative gegen“ eingab, erhielt ich 2.960.000 Google-Einträge dazu. (Nebenbei bemerkt: Fast so viele Einträge erhält man unter „Bürgerinitiative für“ – beispielsweise für „bedingungsloses Grundeinkommen“ oder für die „europaweite Einführung von Tempo 30“).
Der Widerstand, der sich ursprünglich vor allem gegen Atomkraftwerke richtete, wendet sich inzwischen eigentlich gegen jedwede Art der Energieerzeugung. Der Bund für Umwelt und Naturschutz rühmte sich schon 2011, 16 Neubauprojekte für Kohlekraftwerke in Deutschland „erfolgreich verhindert“ zu haben (S. 14). In der Bilanz der Organisation finden sich verhinderte Müllverbrennungsanlagen, gestoppte Stromtrassen sowie blockierte Autobahnabschnitte. Doch es geht keineswegs „nur“ darum, dass zahlreiche sinnvolle Projekte verhindert werden. „Der volkswirtschaftliche Schaden durch jahrzehntelange Genehmigungsverfahren, Klage- und Revisionsverfahren ist enorm. Selbst der möglicherweise aussichtslose Klageweg durch die Instanzen zählt aufgrund der so entstehenden Verteuerungen für die Bauprojekte zu den wichtigsten Instrumenten der Projektgegner.“ (S. 14)
Besonders der Schutz von Flora und Fauna ist ein beliebter Vorwand, um Projekte zu verhindern. Der Autor arbeitet richtig heraus, dass die Neinsager dabei keineswegs primär aus Tierliebe handeln, sondern ihre Liebe für seltene Käfersorten und Wühlmäuse nur deshalb entdeckt haben, weil sich hiermit Sand ins Getriebe streuen lässt. Die Beispiele, von denen Rainer Knauber berichtet, muten an wie aus dem Land Absurdistan: Der Ausbau der A 44 zwischen Kassel und Eisenach verzögert sich enorm, weil eine Kolonie von Kammmolchen entdeckt wurde. Zu deren Schutz wird nun ein Tunnelstück von einem Kilometer Länge gebaut. Kosten: 50 Mio. Euro. Das sind 10.000 Euro pro Molch (S. 16).
Selbst wenn keine schützenswerten Tierchen entdeckt werden, wird ein enormer Aufwand mit immensen Kosten betrieben. So musste der Fledermausbestand beim Ausbau des Frankfurter Flughafens mit Gutachten für drei Mio. Euro ermittelt werden. Die Gutachter entdeckten jedoch lediglich eine einzige männliche Fledermaus, die auch noch – wen wundert es – „sexuell inaktiv“ gewesen sei (S. 17). Einzelbeispiele? Leider nicht. Rainer Knauber zeigt anhand zahlloser Beispiele, dass dies inzwischen zum Alltag des ergrünten Deutschland gehört.
Dabei kritisiert er auch die Medien, die oft ein falsches Bild von den Protesten zeichnen. Ein Beispiel dafür war der Protest gegen Stuttgart 21. In vielen Fernsehberichten wurde suggeriert, es handle sich bei den Protestlern um Menschen aus allen Parteien, insbesondere auch um sonst biedere Bürger, die nun aus Sorge um die Umwelt auf die Straße gingen. Doch das ist ein Mythos: Eine wissenschaftliche Studie ergab auf Basis von Befragungen, dass sich 80% der Stuttgart-21-Protestierer als Sympathisanten der Grünen bezeichneten, 11% bekannten sich zur Linkspartei und nur 1,5% waren SPD-Anhänger. Kein einziger bekannte sich zu Union oder FDP (S. 31).
Knauber zitiert den Soziologen Ortwin Renn, der herausfand: Gelingt es einer gesellschaftlichen Strömung, 5% der Bevölkerung für ihre Sache zu mobilisieren, ist der durch die Medien verstärkte Protest durch die Politik nicht mehr zu ignorieren. „Das bedeutet, dass kleine Minderheiten entgegen einem eventuell anderslautenden gesellschaftlichen Konsens in der Lage sind, die Entwicklung einzelner Technologien und Projekte zu problematisieren, zu hemmen oder gar vollständig zu verhindern.“ (S. 56)
Knauber ist auch skeptisch gegenüber der Zurückdrängung der repräsentativen Demokratie zugunsten plebiszitärer Elemente. „Ein Standard bei heutigen partizipativen Verfahren ist es, dass Abstimmungen grundsätzlich nur lokal im unmittelbaren Umfeld eines Großprojektes stattfinden. Es werden also in erster Linie die Wenigen gefragt, die gegebenenfalls Abstriche bei ihren Besitzständen befürchten. Die weitaus größere Zahl der potenziellen Nutznießer bleibt hingegen außen vor.“ (S. 122) Er schlägt deshalb zu Recht vor, den Kreis der Stimmberechtigten über das unmittelbare räumliche Umfeld hinaus auszudehnen (S.122). Ein sinnvoller Vorschlag, der jedoch wohl leider bei keiner Partei auf Resonanz stoßen wird.
Einer der Gründe für den allgegenwärtigen Widerstand ist, so Knauber, „das schwindende industrielle und marktwirtschaftliche Bewusstsein“ in Deutschland (S. 78). Wenn in der Schule „Wirtschaft“ unterrichtet wird, dann erfahren heute die Schüler weniger über die industriellen Grundlagen Deutschlands, sondern über Themen wie Verbraucherfallen, kritischer Konsum, Integration von Migranten, nachhaltiges Wirtschaften, ökologischen Fußabdruck, Klimawandel usw.
Vielen Menschen fehlt einfach der Bezug zur Industrie, die jedoch die wichtigste Basis für den Wohlstand der Menschen im Exportland Deutschland ist. „In vielen deutschen Städten, vor allem aber in Berlin, gibt es heute ganze Viertel, die sich in einer Art bunter Alternativökonomie eingerichtet haben. Alternative Projekte, Kunsthandwerker und Ich-AGs, Jugend- und Fortbildungseinrichtungen, Haustierbedarf, homöopathische und ganzheitliche Praxen, Yoga-Schulen, Cafés und Bioläden bestimmen das Straßenbild.“ (S. 78) Aber das ist nicht die wirtschaftliche Basis Deutschlands.
Der Autor warnt eindringlich, dass die Folgen der „Neinsager“-Mentalität und der Entfremdung von den industriellen Wurzeln unseres Wohlstandes mittel- und langfristig fatal für Deutschland sind. Pro Jahr wandern 80.000 bis 100.000 Forscher aus Deutschland aus (S. 85) und jedes Jahr treten mehr deutsche Ingenieure in den Ruhestand als neue in den Beruf hineinkommen (S.59). Allein diese beiden Feststellungen müssten uns alle mit großer Sorge erfüllen, denn bekanntlich lebt Deutschland nicht von Ökoläden und Berufsprotestierern, sondern vom Maschinenbau und der industriellen Produktion, deren Anteil an der Wertschöpfung wesentlich höher ist als in anderen Ländern.
Zu Recht kritisiert Knauber auch die Naivität und Blindheit der ökonomischen Eliten. „Die großen Industrieprojekte der letzten 15 Jahre sind selten an fehlendem Geld und noch seltener an schlechtem Engineering gescheitert. Sie sind fast immer daran gescheitert, dass die Investoren nicht in der Lage waren, die Kommunikation ihrer Projekte als echten, harten Erfolgsfaktor zu begreifen. Trotzdem wird noch immer bei allzu vielen Projekten dieses kritische Nadelöhr ausgeblendet… Nicht selten sind die Kommunikationsbudgets sträflich gering und oftmals die ersten Posten, bei denen der Rotstift angesetzt wird, wenn die Kosten überschritten sind. In dieser exakten Ingenieurswelt kommen vermeintlich ‚weiche‘ Faktoren wie Akzeptanz und Kommunikation noch immer zu kurz.“ (S. 109). Das gilt, so möchte ich ergänzen, auch und gerade für Immobilienprojekte. Ich kenne einen großen Entwickler von Shoppingcentern, bei dem nicht wenige Projekte an absurden Bürgerinitiativen scheiterten. Das Unternehmen mit über 600 Mitarbeitern leistete sich jedoch gerade mal einen Mitarbeiter für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Das vorliegende Buch möchte ich jedem zur Lektüre empfehlen. Erfreulich finde ich, dass es im vorwärtsbuch-Verlag erschienen ist. Das zeigt immerhin, dass es auch noch Sozialdemokraten gibt, die kein schlechtes Gewissen haben, weil sie keine Grünen sind. R.Z.