Ich finde die Unterscheidung von Erfolgssuchern und Misserfolgsvermeidern, die in Ihrem Buch eine wichtige Rolle spielt, sehr interessant. Gibt es psychologische Tests, mit denen man herausfinden kann, wer zu welcher Gruppe gehört?
Ein einfaches Testverfahren, mit dem man Personen den Erfolgsmotivierten oder Misserfolgsmeidern zuordnen kann, gibt es leider nicht. Man muss auch bedenken, dass es sich dabei um Verhaltensstrategien handelt, die in verschiedenen Lebensbereichen durchaus unterschiedlich eingesetzt werden. Eine indirekte Messung ist hingegen möglich, denn Misserfolgsmeidung hängt mit erhöhter Ängstlichkeit und unsicherem, defensiven Selbstwert zusammen, und dafür gibt es psychologische Testverfahren.
Ich denke, es ist für den Umgang mit anderen Menschen wichtig, zu erkennen, zu welcher der beiden Gruppen jemand gehört. Wie kann man das erkennen, vielleicht auch schon in einem ersten Gespräch mit einer Person?
Im täglichen Zusammenleben und insbesondere im Geschäftsleben wäre es außerordentlich wichtig, zu wissen, wie man selbst „tickt“ und welche bevorzugte Strategie unsere Mitmenschen haben. Den Misserfolgsmeider kann man daran erkennen, dass er Herausforderungen, bei denen eine 50%-ige Erfolschance besteht, möglichst aus dem Weg geht. Er zieht leichte Siege oder irrwitzig schwierige Aufgaben, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, vor. Dieses Verhalten mag paradox erscheinen, doch genau damit erreicht der Misserfolgsmeider sein Ziel. Er strebt nicht den Erfolg an, sondern will den Misserfolg vermeiden, um seinen instabilen Selbstwert zu schützen. Mit dieser Strategie erntet er kleine Erfolge oder er versagt bei Aufgaben, die auch andere nicht geschafft hätten. Beides kann seinen Selbstwert nicht ankratzen. Misserfolgsmeider können auch mit einem Unentschieden ganz gut leben, denn dann haben sie zwar nicht gewonnen, aber immerhin den Misserfolg vermieden. Angst vor dem Misserfolg führt im Geschäftsleben häufig dazu, dass die Flucht nach vorne angetreten oder ängstlich versucht wird, keinen Fehler zu machen und den Status quo zu bewahren. Innovation und Weiterentwicklung erfordern jedoch Risikobereitschaft, die in der Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit liegt.
Sie sagen, dass man sich gedanklich auch mit der Möglichkeit des Scheiterns befassen soll. Das steht ja im Widerspruch zu all den Vertretern des positiven Denkens, die sagen, dass man sich damit nur negativ programmiert und dass man sich gar nicht mit solchen negativen Gedanken befassen soll. Für wen bzw. unter welchen Voraussetzungen ist es vorteilhaft, das Scheitern gedanklich auszublenden und wann ist es vorteilhaft, das nicht zu tun?
Manche Menschen lehnen es ab, sich vor Herausforderungen mit der Möglichkeit des Scheiterns zu beschäftigen. Sie fürchten, dass dadurch die Angst vor dem Misserfolg noch größer würde und sie unsicher machen könnte. Aus meiner Sicht ist das Gegenteil der Fall. Die Angst vor dem, was nicht passieren darf, ist noch größer, als die Angst vor etwas, das zwar unangenehm ist, aber passieren darf. Das Einkalkulieren des Scheiterns und die Entwicklung eines Plans B reduziert die Angst. Die Einstellung, dass etwas gelingen muss, ist nur selten eine günstige Leistungsvoraussetzung. Besonders dann nicht, wenn es sich um komplexe Leistungen handelt. Ein Beispiel aus dem Sport: Der Fußballtrainer kann dem Verteidiger zwar auftragen, sich die Seele aus dem Leib zu rennen, doch noch so viel Druck fördert keine tollen Reflexe beim Tormann, geniale Spielzüge der Kreativabteilung oder präzise Torschüsse der Stürmer.
Schreiben Sie gerade wieder an einem Buch? Zu welchem Thema?
Mein neues Buchprojekt ist beinahe abgeschlossen und hat den Arbeitstitel: „Die Harmoniefalle“. Es handelt davon, dass in unserer Psyche ständig Harmonisierungsprogramme laufen, die uns zu möglichst stimmigen, widerspruchsfreien und voraussagbaren Wesen machen und die dafür sorgen, dass wir im Einklang mit unserer Umgebung leben. Diese Harmonisierungsprogramme sind gleichzeitig Vereinfachungsstrategien, die uns helfen, uns in einer komplexen Welt zurechtzufinden. Die Programme haben sich evolutionär bewährt, doch sie stellen für unser heutiges Leben oft Fallen dar: allzu bereitwillige Anpassung an Autoritäten und Mehrheitsmeinungen, Verhindern notwendiger Veränderungen, Ablehnung des Neuen, Fremden und Anderen, Festhalten an falschen Entscheidungen und Meinungen, Unfähigkeit, die Welt in ihrer Buntheit zu erfassen etc. Impulse zur Veränderung, zum Lernen und zur Weiterentwicklung erfolgen nicht im Zustand der Harmonie.