Besonders der erste Teil dieses Buches, auf den sich die Besprechung konzentriert, enthält eine Fülle hoch interessanter Ergebnisse der wissenschaftlichen Reichtumsforschung. Markus M. Grabka schreibt über „Verteilung und Struktur des Reichtums in Deutschland“ und wertet dafür die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus. Interessant finde ich die Zahlen über die Struktur des Vermögensreichtums. Von den Personen mit einem Nettovermögen von mindestens 500.000 Euro sind 60 Prozent Selbständige und 17,6 Prozent „Angestellte mit umfassenden Führungsaufgaben“ (S. 34), was die These erhärtet, dass es als Selbständiger wesentlich einfacher ist, vermögend zu werden als für einen Angestellten.
Bemerkenswert finde ich auch, wie weit Einkommensreichtum und Vermögensreichtum auseinanderfallen. Vergleicht man die Gruppe des ausgeprägten Einkommensreichtums mit einem Einkommen von mehr als 300% des Medians und die Vermögensreichen (ab 500.000 Nettovermögen), die jeweils rund 1,7 Mio. Menschen umfassen, so liegt nur eine vergleichsweise geringe Überlappung beider Gruppen vor. Nur jeweils ein Viertel beider Gruppen bzw. knapp eine Million Personen kann sowohl dem Einkommens- als auch dem Vermögensreichtum zugeordnet werden (S. 35). Das stimmt übrigens auch mit Untersuchungen aus den USA überein, die belegen, dass es eine Gruppe sehr gut verdienender Personen gibt, die jedoch aufgrund hoher Konsumausgaben in der Vermögensbildung weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
Gefragt wurden „Einkommmensreiche“ und „Vermögensreiche“ auch danach, wie viel Sorgen sie sich um ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung machen. „Überraschenderweise ist der Anteil der Vermögensreichen, die große Sorgen angeben, höher (8,4 Prozent) als bei den Einkommensreichen (4,5 Prozent). Dies ist insofern verwunderlich, da es sich beim Einkommen um eine Strömgröße handelt, die deutlich größeren Schwankungen unterlegen ist als die Bestandsgröße des Vermögens.“ (S. 39) Meine These zur Aufklärung dieses scheinbaren Widerspruchs: Einkommensreiche, die nicht auch zugleich vermögensreich sind, geben ihr Geld mit vollen Händen aus. Das ist erstens schon Ausdruck einer Sorglosigkeit und zweitens auch tatsächlich gefährlich, denn wenn die Einkommensströme versiegen, hat der Einkommensreiche ein Riesenproblem. Vermögensreiche haben vielleicht auch deshalb ein Vermögen aufgebaut, weil sie sich vor einem wirtschaftlichen Abstieg sorgen und deshalb einen erhöhten Teil des Einkommens sparen, also für die Vermögensbildung statt für den Konsum verwenden. Je mehr sich jemand um den Erhalt seines finanziellen Status sorgt, desto eher wird er sparen und desto eher wird er ein Vermögen aufbauen.
Die Fakten sind aufschlussreich, die politischen Bewertungen in diesem Aufsatz (der von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde) teile ich nicht. Es sei „kritisch zu hinterfragen“, ob die hohe Entlohnung von Managern „auch tatsächlich der Leistung der Erwerbstätigen entspricht“ (S. 40). Diese Gehälter werden vom Aufsichtsrat festgelegt und sind ein Ergebnis von Angebot und Nachfrage am Markt für Führungskräfte. Dass es Manager gibt, die im Vergleich zur tatsächlichen späteren Leistung zu viel bekommen, ist ebenso eine Tatsache, wie die, dass es Angestellte in unteren Funktionen gibt, die mehr bekommen als sie verdienen. Leidtragende sind in beiden Fällen die betreffenden Unternehmen, nicht die Gesellschaft.
Ebenfalls sehr lesenswert ist der wichtige Beitrag von Nora Skopek über „Vermögen in Europa“. Sie stützt sich auf die Daten des „Survey of Health Ageing and Retirement“, für die europaweit 22.721 Personen ab 50 Jahren befragt wurden (S. 62 f.). Ein Ergebnis der Studie war, dass in allen untersuchten Ländern Wohneigentum die wichtigste Vermögenskomponente darstellt. Dies gilt im besonderen Maße für die südeuropäischen Staaten Spanien (76 %) und Italien (70 %) (S. 66). Interessant ist, dass genau in diesen Ländern auch die Vermögensrate am höchsten ist. Die Bevölkerung ab 50 Jahre verfügt in diesen Ländern über ein Median-Vermögen, welches 22 bzw. 15mal ihrem Median-Jahreseinkommen entspricht (S. 67). Die niedrigsten Vermögensraten finden sich dagegen in Ländern wie Deutschland und Schweden, wo auch der Wohneigentumsanteil am niedrigsten ist. Das weist meiner Meinung nach auf einen Zusammenhang zwischen der Vermögensbildung und Wohneigentum hin, wie er übrigens 2013 auch in Studien der Deutschen Bank und der EZB konstatiert wurde. Dass Länder wie Polen und Tschechien, wo der Anteil des Wohneigentums ebenfalls hoch ist, hier herausfallen, hat meiner Meinung nach etwas damit zu tun, dass nach dem Zusammenbruch des Sozialismus dort umfassend privatisiert wurde, so dass der Prozess der Bildung von Wohneigentum nicht mit dem in anderen Ländern vergleichbar ist.
In den Ländern, in denen die Wohneigentumsquote am höchsten ist (Spanien und Italien) ist die Vermögensungleichheit am niedrigsten, während sie in Ländern wie Schweden und Deutschland, wo die Wohneigentumsquote deutlich niedriger ist, am höchsten ist (S.68). Das zeigt, dass Wohneigentumsbildung nicht nur zum individuellen und gesellschaftlichen Reichtum, sondern auch zur Nivellierung extremer Vermögensungleichheit führt. Eine Ausnahme ist hier, aus oben beschriebenem Grund, lediglich Polen.
Professor Wolfgang Lauterbach schreibt im dritten Aufsatz über die soziale Mobilität in Deutschland bei Wohlhabenden und Reichen. Dabei untersucht er Angehörige der Mittelschicht (Vermögen im Median 160.000 Euro), Affluents (Vermögen im Median 750.000 Euro), HNWIs (Vermögen im Median 3,4 Mio. Euro), die 100 reichsten Deutschen (Vermögen im Median 1,5 Mrd. Euro) sowie die 100 reichsten Menschen der Welt (Vermögen im Median 10,5 Mrd. Euro). Ein wichtiges Ergebnis: 64,5 Prozent der HNWIs in Deutschland sind Unternehmer. „Empirisch wird sichtbar, dass Reichtum erst durch berufliche Selbständigkeit ermöglicht wird. Reichtum durch abhängige Beschäftigung entsteht kaum.“ (S.94)
Bei den 100 reichsten Deutschen sind 98 Prozent Unternehmer und bei den 100 reichsten Menschen der Welt sind 95,2 Prozent Unternehmer (S. 91). „Unternehmertum ist notwendig, um außerordentlich vermögend zu werden“, so die Folgerung von Lauterbach (S. 92).
Bei der Reichtumsgenese gibt es jedoch Unterschiede zwischen den deutschen Milliardären und denen in anderen Ländern. Durch Arbeit und Selbständigkeit wurden nur 36 Prozent der reichsten Deutschen reich, während Erbschaft bei 56 Prozent eine Rolle spielte. Weltweit spielte Erbschaft nur in 22,4 Prozent der Fälle eine Rolle, Arbeit und Selbständigkeit dagegen bei 73 Prozent (S. 92).
Das heißt freilich nicht, dass die reichsten Deutschen ihr Vermögen einfach nur geerbt hätten. Einer der reichsten Deutschen ist Dieter Schwarz (Lidl). Dieser übernahm zwar eine regionale Supermarktkette mit 30 Filialen von seinem Vater, aber baute diese zum größten Discounter neben Aldi aus. Die Tradition der Familienbetriebe sei in Deutschland also sehr viel bedeutsamer als in anderen Regionen der Welt (S. 93).
Der zweite Teil des Sammelbandes enthält Aufsätze zu den Themenkomplexen „Philanthropie und Zivilgesellschaft“. Hier habe ich persönlich ein Unbehagen bei dem Hinweis, die philanthropischen Aktivitäten hätten einen „legitimatorischen Charakter“. „Eine ungleiche Verteilung von Vermögen in der Bevölkerung wird dann akzeptiert, wenn Reiche einen Teil ihres Besitzes an die Gesellschaft ‚zurück geben‘, indem sie bspw. gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Legitimität wird gerade unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit wichtig…“ (S. 9, ähnlich S. 13).
Was „Verteilungsgerechtigkeit“ sein soll, erschließt sich mir nicht. Ungleichheit entsteht, zumindest in marktwirtschaftlichen Gesellschaften, als Ergebnis von freien Vertragsbeziehungen zwischen vor dem Gesetz gleichen Individuen und ist das Ergebnis unterschiedlicher Wertschöpfung. Nehmen wir als Beispiel Bill Gates, der die größte Stiftung der Welt unterhält. Was er als Stifter tut, ist großartig. Aber wenn er diese Stiftung nicht unterhalten würde, hätte er mit Microsoft dennoch einen ungeheuer wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft geleistet. Er hat die PC-Revolution begründet und wir alle profitieren bis heute von den Ideen und den Produkten seiner Firma. Zudem hat er den Anstoß gegeben für die Schaffung von Millionen Arbeitsplätzen (womit ich nicht die Arbeitsplätze in seiner Firma meine, sondern auch diejenigen, die indirekt in der PC- und Zulieferindustrie, im Vertrieb usw. geschaffen wurden). Nebenbei bemerkt, hat er viele Milliarden Dollar Steuern gezahlt und auch damit zur Finanzierung des Gemeinwesens beigetragen, was man von den Beziehern von Transfereinkommen nicht behaupten kann.
Die Formulierung, Reiche müssten etwas „zurückgeben“ ärgert mich, auch wenn sie bei Reichen selbst verbreitet ist. Das klingt fast so, als hätten sie vorher der Gesellschaft etwas weggenommen oder gar gestohlen. Und müssten es jetzt „zurückgeben“, indem sie sich philanthropisch betätigten und großzügige Spenden leisten. Nein! Bill Gates muss der Gesellschaft nichts zurückgeben, denn er hat ihr nichts weggenommen, sondern durch sein Unternehmen eine Menge gegeben. Auch glaube ich nicht, dass Menschen, die das anders sehen, also Apostel der „sozialen Gerechtigkeit“, den Reichtum der Reichen deshalb „legitim“ finden, weil diese später etwas davon spenden. Die Reichenkritiker lehnen sogar das ab. Denn sie finden das undemokratisch und würden es bevorzugen, wenn der Staat den Reichen einen Großteil ihres Geldes wieder abnehmen würde, damit dann Politiker und Beamte entscheiden könnten, an wen es „umverteilt“ wird. Letzteres bringt übrigens Wählerstimmen, was aus Sicht der Politiker natürlich ein Riesenvorteil ist und ein guter Grund, die Reichen kräftig zu besteuern.
Der zweite Teil des Bandes bringt zahlreiche Beiträge zum Thema „Spendenverhalten“ von Reichen (etwa im Vergleich zur Mittelschicht), zum Stiftungswesen, zu den Motiven für philanthropisches Engagement usw. Insgesamt ist es ein sehr lesenswerter Band, den jeder lesen sollte, der sich für die Reichtumsforschung in Deutschland interessiert. R.Z.