Mitte der 90er Jahre überraschten die amerikanische Wissenschaftler Thomas J. Stanley und William D. Danko die Amerikaner mit einem Buch „The Millionaire Next Door“, das rasch ein Bestseller wurde. Sie hatten 1000 Amerikaner mit einem Durchschnittsvermögen von 3,7 Mio. Dollar interviewt und ihnen 249 Fragen gestellt. In ihrem Buch zeigten sie, dass das in den Medien gezeichnete Bild der Reichen, die ihre Zeit vor allem damit verbringen, Luxusgüter zu konsumieren, falsch ist. Die erstaunlichen Ergebnisse der damals veröffentlichten empirischen Untersuchung:
50 Prozent der Millionäre hatten nie mehr als 399 Dollar für einen Anzug ausgegeben und 75 Prozent nie mehr als 599 Dollar.
50 Prozent der Millionäre hatten nie mehr als 140 Dollar für ein Paar Schuhe ausgegeben und 75 Prozent nie mehr als 199 Dollar.
50 Prozent der Millionäre hatten nie mehr als 235 Dollar für eine Armbanduhr ausgegeben und 75 Prozent nie mehr als 1125 Dollar.
50 Prozent der Millionäre hatten niemals in ihrem Leben mehr als 29.000 Dollar für ein Auto ausgegeben und 95 Prozent nie mehr als 69.000 Dollar.
In seinem Buch „Stop Acting Rich“ präsentiert Thomas J. Stanley nun weitere Ergebnisse von Untersuchungen, die er in den vergangenen Jahren durchgeführt hat. Er fand heraus, dass in den vergangenen zehn Jahren über 99 Prozent der befragten Millionäre keines der folgenden Autos gekauft oder geleast hatte: Aston Martin, Lamborghini, Lotus, Ferrari, Rolls Royce, Bentley. 79,1 Prozent hatten keinen BMW gekauft oder geleast, 78,9 Prozent keinen Lexus und 75,1 Prozent keinen Mercedes (S. 181). Der am meisten gefahrene Wagen der amerikanischen Millionäre war keiner der Luxuswagen, sondern ein ganz normaler Ford (S. 203.)
Zudem fragte er die Millionäre danach, wie viel sie für Wein ausgaben, wenn sie Freunde oder Nachbarn nach Hause einladen. 90 Prozent zahlten nicht mehr als 26,34 Dollar für eine Flasche Wein. Wenn sie für sich allein Wein kauften, war er sogar noch deutlich günstiger (S. 153 f). Und in dem Restaurant, das sie üblicherweise besuchten, gaben 95 Prozent nicht mehr als 40 Dollar für ein Essen aus (S. 157).
Es gibt jedoch erhebliche Unterschiede in der Gruppe der sehr gut verdienenden und der vermögenden Personen. Stanley unterscheidet zwischen „income statement affluent“ (die viel ausgeben und wenig Vermögen aufbauen) und den „balance sheet affluent“, die effektiv ein Vermögen aufbauen (S. 17). Als Faustformel, die zeigt, welcher Gruppe man zugehört, nennt Stanley: 10 Prozent des Lebensalters X dem Jahreseinkommen = das erwartete Nettovermögen. Eine Person, die 58 Jahre alt ist und 100.000 Euro im Jahr verdient, sollte demnach über ein Nettovermögen von 580.000 Euro verfügen (S. 17 ff.).
Das Interessante ist: Die Gruppe der „balance sheet affluent“, die die 25 Prozent mit dem höchsten Vermögen widerspiegelt, übertrifft den erwarteten Vermögenswert um das 2,49fache. Die Person in dem oben angeführten Beispiel hätte also mit 58 Jahren ein Nettovermögen von 1.44 Mio. Euro aufgebaut. Die „income statement affluent“, die das untere Viertel der Nettovermögen in dieser Gruppe widerspiegeln, haben dagegen im Median nur 66,5 Prozent des erwarteten Vermögenswertes – in unserem Beispiel also nur 379.900 Euro.
Beide Gruppen erklärten, ihr Ziel sei es, „reich zu werden“. Aber beide Gruppen verstanden darunter etwas ganz anderes: Ziel der „income statement affluent“ war es, ein möglichst hohes Konsumniveau zu erreichen. Ziel der „balance sheet affluent“ war die finanzielle Unabhängigkeit (S. 64).
In manchen Berufsgruppen ist der Anteil der konsumorientierten Personen sehr viel höher, in anderen Gruppen ist derjenige Teil, der ein hohes Vermögen aufbaut, größer. So kamen auf 383 sehr gut verdienende Ärzte und auf 275 sehr gut verdienende Anwälte nur 100 Vermögensmillionäre, aber auf 53 Farmer kamen ebenfalls 100 Vermögensmillionäre (S. 53).
Manche sagen „Geld macht nicht glücklich“, andere widersprechen dieser Meinung. Wer hat Recht? Stanley kommt zu einer differenzierten Betrachtung, die die beiden oben genannten Gruppen unterscheidet: Er befragte mehrere Hundert amerikanische Vermögende, die alle zwischen 1946 und 1964 geboren waren und alle mit einem ähnlich hohen Gehalt gestartet waren. Eine der Fragen, die diesen Personen gestellt wurde, lautete, wie zufrieden sie insgesamt mit ihrem Leben seien. Sie konnten auf einer Skala von 1 bis 5 ihre Zufriedenheit ausdrücken.
Im Median verdiente die Gruppe der Unzufriedenen 203.000 Dollar, die Gruppe der Zufriedenen verdiente 307.000 Dollar. Das war jedoch nicht der entscheidende Unterschied. Der größte Unterschied bei beiden Gruppen bestand darin, wie viel Vermögen sie in den vergangenen 30 Jahren aufgebaut hatten. Die Gruppe der sehr zufriedenen Reichen hatte ein Vermögen von 1,38 Mio. Dollar aufgebaut, die Gruppe der Unzufriedenen hatte in der gleichen Zeit nur ein Vermögen von 304.000 Dollar angespart. Die Unzufriedenen besaßen 1,5 Mal so viel, wie sie verdienten, die Zufriedenen 4,5 Mal so viel. Die Häuser, in denen beide Gruppen lebten, waren ungefähr gleich viel Wert (798.000 bzw. 785.000 Dollar) (S. 224 f.). Der Unterschied lag darin, dass die eine Gruppe eher konsumorientiert war und das verdiente Geld ausgegeben hatte, um sich einen sehr hohen Lebensstandard zu leisten. Die andere Gruppe war sparsamer – sie verband mit Reichtum nicht den Erwerb teurer Konsumgüter, sondern die finanzielle Unabhängigkeit.
Man sieht also, dass es sich lohnt, sich ausgiebiger mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Voraussetzungen Geld zum Lebensglück beiträgt. Die Antwort darauf fällt sehr differenziert aus, weil sie vor allem davon abhängt, ob derjenige, der nach Reichtum strebt, damit in erster Linie ein Luxusleben oder vor allem die finanzielle Unabhängigkeit und Sicherheit verbindet. Glücklicher, so die These von Stanley, ist eindeutig die zweite Gruppe. R.Z.