Ein Buch über Kreativität mit einem gänzlich unkreativen Titel! Das Buch hält sehr viel mehr, als der einfallslose Titel verspricht. Es ist ein faszinierendes Werk eines amerikanischen Psychologen, das ich mit Begeisterung gelesen habe. In den Jahren 1990 bis 1995 führte er Interviews mit 91 außergewöhnlichen Persönlichkeiten durch. Die Person musste einen bedeutenden Beitrag zu einer wichtigen Domäne geleistet haben – zu Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft oder Politik. Unter den Interviewten waren 14 Nobelpreisträger. Naturwissenschaftler, Schriftsteller und Künstler waren wesentlich stärker vertreten als Personen aus der Wirtschaft, von denen nur einige wenige interviewt wurden.
Das Buch ist jedoch keine Aneinanderreihung dieser Interviews, sondern wertet diese reflektiert aus – in drei großen Abschnitten über den kreativen Prozess, über die Lebensgeschichten der Personen und über die Domänen der Kreativität.
Zunächst: Es genügt nicht, kreativ zu sein. Andere müssen die kreative Leistung auch erkennen. Das ist einer der Kerngedanken des Buches. Der Autor verwendet den Begriff nicht, aber ich nenne das, worüber er schreibt, die Kunst der Selbstvermarktung. Die Kunst, sich und seine Leistungen bzw. Produkte auch gut „verkaufen“ zu können. Ein Wissenschaftler sagte im Interview: „Ich war immer der Ansicht, dass ein Wissenschaftler selbst dafür sorgen muss, seine Zeitgenossen von der Kohärenz und dem Wert seines Denkens zu überzeugen. Er hat keinen Anspruch auf eine wohlwollende Aufnahme. Er muss sie sich verdienen, entweder durch die Art seiner Darstellung, die Neuheit seiner Ideen oder was auch immer.“ (S. 68.)
Wäre es Genies wie Galilei, Freud oder Einstein nicht gelungen, Anhänger zu gewinnen, die in unterschiedlichen Feldern zusammenkamen und sich um eine Förderung ihrer jeweiligen Domänen bemühten, hätten ihre Ideen weit weniger Wirkung gehabt oder wären gänzlich folgenlos geblieben. Andere Menschen seien zwar sehr klug, aber so unfähig, mit einflussreichen Gleichgestellten zu kommunizieren, dass sie in den entscheidenden Jahren ihrer Karriere übersehen oder gemieden würden. „Der Zugang zum Feld ist normalerweise stark beschränkt. Man muss an viele Türen klopfen, und vor jeder Tür bilden sich Engpässe.“ (S. 85) „Es reicht nicht aus, neue Ideen, neue Tatsachen oder neue Gesetze vorzustellen. Man muss auch junge Menschen davon überzeugen, dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten und sich einen Namen machen können, wenn sie den neuen Ansatz aufgreifen.“ (S. 384)
Ohne dass der Autor diese Worte verwendet, wird klar, dass sehr erfolgreiche Menschen, egal in welchem Bereich, oft eine interessante Mischung aus Nonkonformisten und genialen Verkäufern sind. Man müsse einerseits dem Inhalt der Disziplin Rechnung tragen, müsse aber andererseits auch bereit sein, einen Standpunkt zu beziehen, der der herrschenden Meinung zuwiderläuft, wenn die Umstände es rechtfertigen. Die Spannung zwischen dem Vertrauen in das Wissen der Domäne und der gleichzeitigen Fähigkeit, dieses Wissen abzulehnen, sei ungeheuer wichtig (S. 152).
Ja, sehr kreative und erfolgreiche Menschen sind anders als andere. Sie gelten im Allgemeinen „als seltsam und schwierig“ (S. 209). Sie sind bereit, Risiken einzugehen, und sie verlassen sich sehr häufig auf ihre Intuition, auf ihr Bauchgefühl. Und sie setzen sich stets sehr große Ziele, sogar im Alter. „Es ist leicht nachzuvollziehen, warum diese Personen das Alter in einem positiveren Licht sehen, als man vielleicht vermutet hätte. Alle engagieren sich nach wie vor leidenschaftlich für Ziele, die sie aufregend und lohnend finden, auch wenn diese Ziele letztlich unerreichbar sein mögen… Wir befragten die Teilnehmer nach der größten Herausforderung, vor der sie zur Zeit standen, und nach den Zielen, die sie momentan mit der größten Leidenschaft verfolgen. Alle antworteten sehr enthusiastisch und beschrieben ihr derzeitiges Programm in allen Einzelheiten.“ (S. 315).
Csikszentmihalyi setzt sich an mehreren Stellen mit der Frage auseinander, welche Rolle „Zufall“ bzw. „Glück“ für den Erfolg der von ihm befragten Personen spielten. „Als wir kreative Personen nach den Ursachen ihres Erfolges befragten“, so Csikszentmihalyi, „lautete eine der häufigsten Antworten – vielleicht sogar die häufigste Antwort -, dass sie einfach Glück gehabt hätten. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein ist eine fast allgemeingültige Erklärung.“ (S. 73) Zudem sei es entscheidend, „die richtigen Leute kennenzulernen“ (S. 276).
Glück sei ohne Zweifel eine wichtige Komponente bei kreativen Entdeckungen. Csikszentmihalyi berichtet von einem sehr erfolgreichen Künstler, dessen Werke sich gut verkauften und in den besten Museen hingen: „Er erklärte einmal mit einem Anflug von Schuldbewusstsein, dass es wahrscheinlich mindestens 1000 andere, ebenso begabte Künstler wie ihn gebe – und doch seien sie unbekannt und ihre Arbeit werde nicht gewürdigt. Der einzige Unterschied zwischen ihm und den anderen, so der Künstler, bestehe darin, dass er vor vielen Jahren auf einer Party einem Mann begegnet sei, mit dem er einige Drinks genommen habe.“ (S. 73) Dieser Mann habe ihn später sehr gefördert.
Csikszentmihalyi relativiert jedoch zugleich seine Aussage von der großen Bedeutung, die Glück und Zufall hätten. Es sei zwar wichtig, auf die begrenzte Bedeutung des individuellen Beitrages hinzuweisen, weil dieser oft überschätzt werde. „Man kann jedoch auch in den gegenteiligen Irrtum verfallen und die individuelle Leistung gänzlich leugnen… Aber viele Menschen erkennen überhaupt nicht, dass sie sich an einer besonders günstigen Schnittstelle von Raum und Zeit befinden und selbst wenn sie es erkennen, wissen sie häufig nicht, wie sie diese Chance nutzen sollen.“ (S. 74 f.) Es stimme zwar, dass die Erfolge dieser Personen „zu einem großen Teil von glücklichen Zufällen abhingen“, aber, so fügt er relativierend hinzu: „Was einige Personen in die Lage versetzt, denkwürdige Beiträge zur Kultur zu leisten, ist neben diesen äußeren, vom Zufall gelenken Faktoren die persönliche Entschlossenheit, selbst über ihr Schicksal zu bestimmen und es nicht von äußeren Kräften steuern zu lassen. Man könnte in der Tat behaupten, dass die augenfälligste Leistung dieser Menschen in der kreativen Gestaltung ihres eigenen Lebens liegt. Wie ihnen das gelungen ist, lohnt sich zu erfahren, weil es sich auf unser aller Leben anwenden lässt…“ (S. 217).
Die eingangs von Csikszentmihalyi pointiert zugespitzte Aussage, auch wenn hinter jeder neuen Idee oder jedem neuen Produkt ein Mensch stehe, so folge daraus nicht, dass die Einzelperson über ein charakteristisches Merkmal verfüge, das diese Leistung bewirke (S. 72), wird damit erheblich relativiert. An einer anderen Stelle seines Buches schreibt er sogar: „Sie (die für die Studie interviewten Personen, R. Z.) wurden mit den unterschiedlichsten äußeren Ereignissen konfrontiert, trafen auf hilfreiche und weniger hilfreiche Menschen, hatten mal Glück, mal Pech und lernten im Laufe der Zeit, das Beste aus jeder Situation zu machen. Anstatt sich durch die Ereignisse formen zu lassen, formten sie die Ereignisse und passten sie ihren Zielen an.“ (S. 260)
Meiner Meinung nach sollte man die häufig vorgetragene Erklärung dieser Personen, sie hätten einfach „Glück gehabt“, nicht ernst nehmen. Oft handelt es sich um eine Koketterie oder eine „Neidabwehr“, wie der Soziologe Schoeck einmal erklärte: „Ein Sportler, ein Schüler, ein Geschäftsmann, der gerade einen besonders schönen (und für andere neiderregenden) Erfolg errungen hat, sagt einfach, achselzuckend: na, ich hab eben Glück gehabt… Damit, meist unbewusst, sucht er einen möglichen Neid gegen sich zu neutralisieren.“ Schoecks These ist plausibel: Schließlich würde die Erklärung eines sehr erfolgreichen Menschen: „Ich bin halt wesentlich intelligenter, zielstrebiger und fleißiger als ihr“ weniger sympathisch klingen als: „Ich hab‘ oft großes Glück gehabt.“ Vielleicht spielt noch ein anderer Punkt bei dem Verweis auf Glück oder Zufall eine Rolle: Ich zweifle daran, dass die sehr erfolgreichen Menschen selbst stets so genau wissen, warum sie überhaupt so erfolgreich waren. Wissenschaftler verwenden Begriffe wie „verborgenes Wissen“, „implizites Wissen“ oder „atheoretisches“ Wissen, das die Betroffenen selbst meist gar nicht richtig artikulieren können. Aus all diesen Gründen bringt auch die einfache Frage an den Erfolgreichen, wie er sich seinen Erfolg selbst erkläre, oft nicht sehr viel. Und sonst wären so faszinierende Forschungsprojekte, wie jenes, das sich in diesem überaus lesenswerten – und übrigens sehr gut geschriebenen und übersetzten – Buch niedergeschlagen hat, auch gar nicht notwendig. R.Z.