Dieses Buch wendet sich – wie der Titel schon sagt – gegen eine These. Die These der sogenannten funktionalistischen Elitetheorie lautet, dass es heute keine einheitliche Elite mehr gibt, sondern mehrere miteinander rivalisierende Eliten, und dass der Zugang zu diesen Eliten nicht primär durch die soziale Herkunft, sondern durch die Leistung bestimmt werde. „Die Vorstellung, Elitezugang qua Leistungsauslese bedeute zugleich auch eine vergleichsweise große soziale Offenheit der Eliten“, dominiere heute die Eliteforschung (S. 19). Dass beispielsweise Arbeiterkinder weniger in der Wirtschaftselite vertreten seien als solche aus dem Großbürgertum wurde von Vertretern dieser Theorie durch die geringeren Bildungsqualifikationen erklärt. Demnach sei die selektive soziale Rekrutierung der deutschen Eliten entweder vollkommen oder aber zum allergrößten Teil auf die „Chancenungleichheit“ im deutschen Bildungssystem zurückzuführen (S. 21). Von einer Öffnung des Bildungssystems für Angehörige unterer sozialer Schichten verspricht man sich folgerichtig, dass in der Folge auch die soziale Herkunft für den Aufstieg in die Eliten eine geringere Rolle spielen werde.
Der Autor des Buches vertritt die Gegenthese: Die soziale Herkunft wirke durchaus auch direkt und unmittelbar in der Eliterekrutierung und keineswegs nur vermittels der ungleichen Bildungsbeteiligung der verschiedenen sozialen Schichten.
Um diese These zu stützen, hat er einen interessanten Ansatz gewählt. Er untersucht die Karriereaussichten jener Gruppe, die den höchsten Bildungsabschluss hat, nämlich die Promotion. Die Logik seiner Argumentation: Wenn soziale Herkunft nur vermittels unterschiedlicher Bildungsqualifikation eine Rolle für den Aufstieg in die Elite spiele, dann dürfe diese bei der Analyse von Personen mit gleich hohem Bildungsabschluss keine Rolle mehr spielen. Er weist jedoch nach, dass dies nicht so sei: „Von den Promovierten aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten haben es… nur 9,3 Prozent, d.h. ungefähr jeder elfte, bis in die Chefetagen geschafft. Bei einer sozialen Herkunft aus dem gehobenen Bürgertum beträgt der Anteil der Erfolgreichen schon 13,1 Prozent, sprich gut jeder achte hat es geschafft, und wer aus dem Großbürgertum stammt, hat bereits fast eine Chance von eins zu vier, in die oberen Führungsetagen der deutschen Wirtschaft zu gelangen.“ (S. 65)
Untersucht hat Hartmann die Herkunft, die Ausbildungswege und die beruflichen Karrieren in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft aller promovierten Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler der Promotionsjahrgänge 1955, 1965, 1975 und 1985. Die Beschränkung auf diese drei Fachdisziplinen ließe sich rechtfertigen, da 90 Prozent der Topmanager eine dieser drei Disziplinen studiert habe und auch in Politik und Verwaltung Ingenieure, Juristen und Wirtschaftswissenschaftler dominierten (S. 23). In der Wirtschaft habe fast die Hälfte der Topmanager in einem dieser drei Fächer promoviert (S. 23).
Im Mittelpunkt des Buches steht die Wirtschaftselite. Das Ergebnis seiner Untersuchung lautet, „dass zwischen der sozialen Herkunft und der Besetzung einer hohen Führungsposition in der deutschen Wirtschaft ein sehr enger Zusammenhang besteht. Soziale Auslese wirkt nicht nur vermittels der ungleichen Bildungsbeteiligung der verschiedenen Klassen und Schichten der Gesellschaft, sondern ganz direkt. Obwohl alle in die Untersuchung einbezogenen Personen mit der Promotion den höchsten und sozial auch selektivsten Bildungsabschluss aufweisen, sind ihre Karrierechancen in der Wirtschaft und damit ihre Aussichten auf den Zugang zur deutschen Wirtschaftselite je nach sozialer Herkunft äußerst ungleich verteilt. Trotz der scharfen Auslese beim Erwerb des Doktortitels erfolgt bei der Besetzung von Führungspositionen in den großen Unternehmen eine weitere vom Bildungstitel vollkommen unabhängige soziale Selektion.“ (S. 71)
In Anlehnung an die Theorien des französischen Soziologen Bourdieu argumentiert Hartmann, es sei vor allem der aus dem Aufwachsen in bürgerlichen Milieus resultierende „Habitus“, der den entscheidenden Unterschied ausmache. „Man bewegt sich in den oberen Etagen einfach ‚treffsicherer‘, weil man das Gelände seit Kindesbeinen kennt. Dieser Sicherheit entspricht auf Seiten des Nachwuchses aus den breiten Bevölkerungsschichten jene ‚Parkettunsicherheit‘, die der Unkenntnis und fehlenden Vertrautheit mit den Gegebenheiten entspringt.“ (S. 168)
Die innere Logik der Argumentation und die angeführten Belege und Untersuchungsergebnisse von Hartmann überzeugen – auch dann, wenn man seine linke politische Meinung nicht teilt. Zwar hat sich mir nicht erschlossen, warum alle verfügbaren Informationen aus den Promotionen (Lebenslauf, Beruf des Vaters etc.) berücksichtigt wurden, die Abschlussnote jedoch nicht. Doch davon abgesehen überzeugen die Argumente.
Die Schwäche des Buches liegt jedoch darin, dass der Begriff der Wirtschaftselite sehr einseitig definiert wird. Hartmann rechnet zur Wirtschaftselite „im weiteren Sinne“ alle Personen, die Führungskräfte der ersten Ebene in Großunternehmen sind. Als Wirtschaftselite im „engeren Sinne“ definiert er diejenigen, die Top-Positionen (erste Ebene) in Spitzenunternehmen bekleiden (S. 62). Je höher die Position in der Wirtschaft sei, desto größer sei auch das Gewicht der sozialen Herkunft, so sein Befund. Seine These von der großen Bedeutung der sozialen Auslese gelte insbesondere für die erste Ebene in Spitzenunternehmen (S. 87).
Das heißt jedoch: Die Untersuchung beschränkt sich ganz vorwiegend auf angestellte Manager in Großkonzernen. Selbstständige Unternehmer, die oft ein Vielfaches dessen verdienen, was ein angestellter Manager verdient, werden in der Untersuchung nur ausnahmsweise berücksichtigt, nämlich dann, wenn der Eigentümer eines Unternehmers auch eine Spitzenposition im Management innehat. Dies ist jedoch bei den Großunternehmen, auf die Hartmann seine Untersuchung beschränkt, nur ausnahmsweise der Fall.
Vieles spricht dafür, dass die soziale Durchlässigkeit im Bereich selbstständiger Unternehmer sehr viel höher ist als bei den Vorständen von Großkonzernen. Hartmann argumentiert, die soziale Selektion sei in der Wirtschaft höher als in anderen Elitesegmenten, was er wie folgt erklärt. Der Grund, warum „Großbürgerkinder“ die Spitzenpositionen in der Wirtschaft denen in der Justiz oder der Politik vorziehen, sei es, weil diese „einfach mehr Macht und ein höheres Einkommen“ versprechen (S. 174). Ob Spitzenpositionen in der Wirtschaft wirklich mehr „Macht“ versprechen als solche in der Politik, kann man bezweifeln. Dass dort mehr verdient wird, ist eine unbestreitbare Tatsache. Was Hartmann jedoch nicht berücksichtigt: Viel mehr als die angestellten Manager von Großunternehmen verdienen oftmals selbstständige Unternehmer. Wer vermögend werden will, dies zeigen die Ergebnisse der Reichtumsforschung, hat nur geringe Chancen, dies als Angestellter zu erreichen. Die überwiegende Mehrheit der hohen Einkommensbezieher und Vermögenden sind selbstständige Unternehmer, in der Mehrzahl Eigentümer von kleineren und mittleren Unternehmen. Es wäre interessant zu untersuchen, wie hoch die soziale Durchlässigkeit in diesem Segment ist, das nicht Gegenstand der Analyse von Hartmann war.
An anderer Stelle des Buches wechselt er wieder die Argumentation: So beklagt er, dass von 1980 bis 1997 die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit nur um 33 Prozent netto gestiegen seien, der Zuwachs bei den Einkünften aus Unternehmertätigkeit und Vermögen im selben Zeitraum jedoch um 126 Prozent (S. 179). Die von ihm untersuchte Gruppe angestellter Manager gehört jedoch gerade zu jenen, die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit beziehen. Zwar ist auch deren Einkommen stärker gestiegen als das von Beziehern niedrigerer Einkommen, aber die von Hartmann angeführten Zahlen belegen gerade, wie wichtig es wäre, auch jene Hochvermögenden und Hocheinkommensbezieher analytisch zu erfassen, die in seiner Untersuchung weitgehend ausgeblendet wurden. R.Z.