Harmonie hat zwei Aspekte: Es bedeutet einmal das Einssein mit sich selbst. Und dann bedeutet es, im Einklang und Frieden mit seinen Mitmenschen zu leben. Der Autor zeigt, wie ein überzogenes Harmoniestreben zur Gefahr wird. „Damit sich die Welt in kultureller, technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht weiterentwickelt, brauchen wir Menschen, bei denen diese Harmonisierungstendenzen nicht zu sehr ausgeprägt sind oder die die Kraft haben, sich über diese Verhaltenstendenzen hinwegzusetzen und die damit verbundenen Nachteile in Kauf zu nehmen. Die Gesellschaft wehrt sich mit aller Kraft gegen Außenseiter. Dabei wissen wir, oder sollten es zumindest wissen, dass Ausbrüche aus dem Gewohnten, Unsinnigkeiten und Disziplinlosigkeiten notwendig sind, um Veränderungen herbeizuführen und einer veränderten Umwelt mit neuen Herausforderungen gewachsen zu sein.“ (S. 110).
Menschen, die ein überzogenes Harmoniebedürfnis haben, sind meist einfach nicht selbstbewusst. Der Autor zeigt, „dass das Streben einer Person nach Konformität und Konsistenz umso stärker ist, je weniger Selbstbewusstsein sie hat“ (S. 145). Selbstbewusste Menschen sind weniger auf Anerkennung und Zustimmung von anderen angewiesen. „Dadurch sind sie resistenter gegen Beeinflussung. Es fällt ihnen leichter, zu ihrer Meinung zu stehen, auch wenn sie damit auf Widerspruch stoßen. In einem solchen Fall nehmen sie eher an, die anderen hätten sich geirrt – und bleiben bei ihrer Sicht der Dinge. Dadurch sind sie in der Lage, dem Konformitätsdruck zu widerstehen.“ (S. 156)
Selbstbewussten Menschen falle es auch leichter, ihre eigene Meinung zu ändern – getreu nach dem Ausspruch von Konrad Adenauer: „Was gebe ich auf mein Geschwätz von gestern?“. Sie ändern ihre Meinung jedoch aufgrund eigener Einsichten und nicht aufgrund des Gruppendrucks. (S. 156)
Frauen streben eher nach Harmonie als Männer – ihnen ist das Urteil ihres Umfeldes wichtiger. Männer beziehen ihren Selbstwert aus Fähigkeiten, die sie als Einzelkämpfer auszeichnen. Frauen gründen ihr Selbstbewusstsein hingegen auf soziale Anerkennung und Eingebundensein in die Gemeinschaft. „Dafür opfert frau schon einmal die eigene Meinung und erntet dafür Beliebtheit. Auf soziale Zurückweisung reagieren Frauen sehr empfindlich, Männer nehmen das viel gelassener. Daher fällt es ihnen auch leichter, unter sozialem Druck zu ihrer Meinung zu stehen und anderen zu widersprechen.“ (S. 157)
Wir brauchen jedoch beides: Harmonie und Konflikt. Ein Leben nur im Konflikt ist nervenaufreibend, ein Leben nur in Harmonie ist langweilig. „Ständige Harmonie kann auch ganz schön nerven, denn sie hemmt die Aktivität und fördert die Langeweile. In Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass es nach langen Phasen der Harmonie zu einem Sättigungseffekt kommt und dann kontroverse Meinungen und dissonante Erlebnisse nicht mehr als unangenehm eingeschätzt werden.“ (S. 14)
Schützenhöfer hat ein interessantes, lesenswertes Buch geschrieben. In einer zweiten Auflage, die ich dem Buch wünsche, könnte noch ein Kapitel über Konfliktfähigkeit und persönlichen Erfolg hinzugefügt werden: Forschungen zur Persönlichkeit von erfolgreichen Managern und Unternehmern haben gezeigt, dass das Persönlichkeitsmerkmal „Verträglichkeit“ bei diesen weniger stark ausgeprägt ist als bei ihren Mitmenschen. Und wir wissen von sehr erfolgreichen Menschen wie etwa Steve Jobs oder Bill Gates, dass diese schon in ihrer Jugend – und auch später in ihrem Leben – meist sehr rebellisch und konfliktbereit waren, was ein Ausdruck von hohem Selbstbewertgefühl, innerer Stärke und Voraussetzung für ihren Erfolg war. R.Z