In den USA und Europa ist Amazon noch bekannter als Alibaba – ein Vergleich der beiden Unternehmen veranschaulicht die Bedeutung des von Jack Ma geschaffenen E-Commerce-Riesen. Der sogenannte Singles‘ Day am 11.11. eines Jahres zeigt exemplarisch die Marktmacht von Alibaba. 2009 hatte Jack Ma die Idee, dieses Datum zum Aktionstag zu machen. Die Einsen symbolisieren die Alleinstehenden, die sich am Singles‘ Day selbst beschenken sollen – und das tun sie. Am 11.11.2016 spülte die Aktion 15,1 Milliarden Euro in die Kassen der Händler auf Alibaba.com. 2017 vermeldete Alibaba am Singles‘ Day sogar einen Umsatz von 22 Milliarden Euro. Zum Vergleich: der gesamte US-amerikanische Handel hat 2016 an Cyber Monday, Black Friday, Thanksgiving sowie Prime Day zusammengenommen 7,11 Milliarden Euro umgesetzt.
Im Jahr 2018 betrug der Markenwert des Unternehmens 113 Milliarden Dollar – und lag damit vor bekannten amerikanischen Unternehmen wie IBM (96 Milliarden Dollar), Coca-Cola (80 Milliarden Dollar) und Disney (54 Milliarden Dollar). Durch sein Unternehmen wurde Jack Ma vom einfachen Schullehrer zu einem der reichsten Menschen der Welt. Im Oktober 2018 meldete das chinesische Hunrun-Magazin, dass er mit einem Vermögen von 39 Milliarden Dollar der reichste Chinese sei. Damit gehörte er laut „Forbes“ 2018 zu den 20 reichsten Menschen der Welt. Ein Jahr zuvor krönte ihn das Magazin „Fortune“ in seiner Liste „World’s 50 Greatest Leaders“ auf dem zweiten Platz und in „Forbes“ gehört er seit Jahren zu den „most powerful people“ der Welt.
Er ist ein hervorragendes Beispiel, was die Kombination von Ausdauer und Experimentierfreudigkeit bewirken kann. Jack Ma wurde 1964 geboren. Schon als Junge tat er alles, um Englisch zu lernen. Er war ein großer Fan der Bücher von Mark Twain und nutzte jede Möglichkeit, um sein Englisch zu verbessern. Mit zwölf Jahren hatte er eine Idee, wie er seine Englischkenntnisse verbessern könnte: Jeden Morgen um fünf Uhr fuhr er mit dem Fahrrad 40 Minuten zu einem internationalen Hotel seiner Heimatstadt und wartete dort auf Touristen, denen er einen Deal vorschlug: Er zeigte ihnen als Reiseführer die Stadt und sie brachten ihm als Gegenleistung Englisch bei. Egal ob es schneite oder regnete – er wartete Tag für Tag morgens vor dem Hotel, Jahr für Jahr. Eines Tages traf er dort auf eine australische Familie, mit der er sich anfreundete und die ihn nach Australien einlud, wo er beeindruckt war von dem hohen Lebensstandard, den die Menschen dort im Vergleich zu China genossen.
Er lernte immer besser Englisch, aber in Mathematik war er so schwach, dass er beim Aufnahmetest für die Universität durchfiel – er hatte nur einen von 120 Punkten erreicht. Später versuchte er es noch einmal, und diesmal hatte er immerhin 19 von 120 Punkten in Mathematik erreicht, aber seine Ergebnisse waren insgesamt so schlecht, dass die Universität ihn nicht aufnahm. Doch er gab nicht auf und irgendwann gelang es ihm, im „Teachers College“ Aufnahme zu finden – wenngleich er einräumt, dass dies die am wenigsten angesehene Universität seiner Stadt war. 1988 erreichte er dort einen Bachelor-Abschluss in Englisch und arbeitete nun als Englischlehrer.
Entscheidend für sein weiteres Leben war eine Reise nach Seattle im Jahr 1995, wo ein Freund ihm das erste Mal das Internet zeigte. Er war sofort interessiert und erkannte intuitiv die Bedeutung des Internets für die Zukunft. Im gleichen Jahr gründete er die „China Yellow Pages“-Firma, die sich jedoch nur mit Mühe über Wasser halten konnte. Er hatte fast alles Geld für die Registrierung der Firma ausgegeben, so dass wenig für anderes übrig blieb. Das Büro der Firma bestand aus einem Raum mit einem Arbeitsplatz in der Mitte des Raumes, wo ein sehr alter PC stand.
Das größte Problem bestand darin, dass es damals in seiner Heimatstadt Hangzhou gar nicht möglich war, online zu gehen. Jeder andere hätte unter diesen Umständen die Idee, dort eine Internetfirma zu gründen, für völlig unrealistisch gehalten. Bei Jack Ma war das anders. Er erzählte allen seinen Freunden von den Möglichkeiten des Internets und konnte tatsächlich einige überzeugen, dass er eine Website für sie entwarf. Er bat sie, ihm Unterlagen über ihre Firma zu schicken, übersetzte diese ins Englische und schickte sie dann mit der Post nach Seattle, wo daraus eine Website entstand. Die Freunde in Seattle machten einen Screenshot von der Website und schickten ihn zurück nach China, wo er das Foto seinen Auftraggebern zeigte. Die Tatsache, dass es ihm überhaupt gelang, einige Firmen seiner Heimatstadt zu finden, die bereit waren, die für China sehr hohe Summe von 20.000 Renminbi (etwa 2.400 Dollar) dafür auszugeben, spricht für seine ungeheure Überzeugungskraft. „I was treated like a von man for three years“, erinnert sich Jack Ma an die damalige Zeit.1
Ma änderte in den nächsten Jahren immer wieder das Geschäftsmodell – er verband Experimentierfreudigkeit mit Ausdauer. 1999 gründete er die Alibaba-Group als B2B e-commerce-Plattform. Der Anfang war schwer. Jack Ma erinnerte sich später: „First week, we have seven employees. We buy and sell, ourselves. The second week, somebody started to sell on our website. We bought everything they sell. We had two rooms full of things we bought for no use, all garbage, for the first two weeks – in order to tell people that it works.“2 Von Anfang an dachte er groß, setzte sich große Ziele. Gegenüber einem Journalisten sagte er schon kurz nach Gründung der Firma: „We don’t want to be number one in China. We want to be number one in the world.“3 Er war so überzeugt von seinem späteren Erfolg, dass er sogar ein Treffen in seinem bescheidenen Apartment im Februar 1999 filmen ließ – als Dokument für die spätere Firmengeschichte. „In the next five or ten years, what will Alibaba become?“, fragte er, und gab die Antwort: „Our competitors are not in China, but in Silicon Valley… We should position Alibaba as an international website.“4 Ma versuchte, in Palo Alto im Silicon Valley Geld von Venture Capital-Finanziern aufzutreiben. Die Investoren hatten erwartet, dass er einen fertig ausgearbeiteten Businessplan präsentieren würde. Aber Jack Ma hatte ebenso wenig einen Business-Plan wie viele andere erfolgreiche Unternehmensgründer. Sein Motto lautete: „If you plan, you lose. If you don’t plan, you win.“5
Für die Investoren war es schwer, ihn zu verstehen: „We don’t really have a clearly defined business model yet. If you consider Yahoo a search engine, Amazon a bookstore, eBay an auction center, Alibaba is an electronic market. Yahoo and Amazon are not perfect models and we’re still trying to figure out what’s best.“6 Dank seiner charismatischen Ausstrahlung gelang es ihm dennoch, die für China zuständige Mitarbeiterin von Goldman Sachs davon zu überzeugen, fünf Millionen Dollar in sein Unternehmen zu investieren – wobei sie gleich einige Anteile an andere Investoren weiterverkaufte.
Jack Mas Beispiel zeigt, dass unternehmerische Intuition und vor allem die Bereitschaft, offen für Neues zu sein und das Geschäftsmodell stets anzupassen, sehr viel wichtiger sind als Buchwissen, wie man es in Betriebswirtschaftslehre vermittelt bekommt. In einem Vortrag meinte er: „It is not necessary to study an MBA. Most MBA graduates are not useful… Unless they come back from their MBA studies and forget what they’ve learned at school, then they will be useful. Because schools teach knowledge, while starting business requires wisdom. Wisdom is acquired through experience. Knowledge can be acquired through hard work.“7 Was Jack Ma sagt, wird durch die wissenschaftliche Unternehmerforschung bestätigt: Unternehmerischer Erfolg resultiert nicht aus explizitem, akademischen Lernen und Wissen, sondern aus impliziten Lernprozessen, die sich in „Intuition“ und „Bauchgefühl“ manifestieren. Das ist jedoch nichts Irrationales oder Mystisches, sondern es handelt sich dabei um geronnene Erfahrungen, die wiederum das Ergebnis der Kombination von Ausdauer und Experimentierfreudigkeit sind. Mehr darüber habe ich in meinem Buch „Psychologie der Superreichen“ geschrieben.
Selbst technologisches Wissen war für Ma aus seiner Sicht nicht notwendig, um als Internetunternehmer überragenden Erfolg zu erzielen: „I’m not good at technology. I was trained to be a high school teacher. It’s a funny thing. I’m running one of the biggest e-commerce companies in China, maybe in the world, but I know nothing about computers. All I know about computers is how to send and receive email and browse.“8 Jack Ma, der zunächst als Designer für Websites begonnen hatte und dann in den B2B-e-commerce eingestiegen war, entwickelte sein Unternehmen in immer neue Richtungen weiter. 2003 gründete er Taobao, die größte chinesische B2C Shopping Website. In seinem Unternehmen und bei Investoren war er damit auf Skepsis gestoßen, denn das B2B-Geschäft von Alibaba war noch nicht profitabel und zu dieser Zeit war es auch schwer, neues Kapital von Venture Capital-Firmen zu erhalten. Sollte das Unternehmen wirklich eine neue Front eröffnen, wo es die B2B-Schlacht noch nicht gewonnen hatte? Viele waren misstrauisch. Doch Jack Ma sollte Recht behalten. Ihm gelang es 2007 sogar, seinen schärfsten Konkurrenten eBay, der mit sehr viel mehr Kapital ausgestattet war als sein Unternehmen, zu bezwingen. eBay musste das Geschäft in China aufgeben, weil es den chinesischen Markt und vor allem die Mentalität der vielen kleinen Einzelhändler, denen Taobao eine Plattform bietet, nicht verstand. 2004 gründete Ma Alipay, heute der weltweit größte Internet-Bezahldienst.
Jack Ma war und ist stets offen für neue Ideen. „From day one, all entrepreneurs know that their day is about dealing with difficulty and failure rather than defined by ‚success‘. My most difficult time hasn’t come yet, but it surely will. Nearly a decade of entrepreneurial experience tells me these difficult times can’t be evaded or shouldered by others – the entrepreneur must be able to face failure and never give up.“9
*Ich habe das Buch von Duncan Clark zusammen mit der Zitatensammlung „Never Give Up. Jack Ma In His Own Words“ gelesen, hrsg. Von Suk Lee und Bob Song (B2 Books, Chicago 2016). Einige der Zitate in diesem Beitrag stammen aus dieser Zitatensammlung.
1 Jack Ma, zitiert nach Clark, S. 73.
2 Jack Ma, zitiert nach: Lee / Song, S. 29.
3 Jack Ma, zitiert nach: Clark, S. 110.
4 Jack Ma, zitiert nach: Clark, S. 93.
5 Jack Ma, zitiert nach: Clark, S. 111.
6 Jack Ma, zitiert nach: Clark, S. 121.
7 Jack Ma, zitiert nach: Clark, S. 123.
8 Jack Ma, zitiert nach: Lee / Song, S. 19.
9 Jack Ma, zitiert nach: Lee / Song, S. 83.