Die FDP hat einen neuen Vordenker. Auf 120 Seiten liefert der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Oliver Luksic eine Analyse gesellschaftlicher Fehlentwicklungen. Sein Buch ist ein Plädoyer für Rationalität und gegen die Moralisierung der Politik. Symptomatisch für die Moralisierung des öffentlichen Diskurses stehe die Greta-Thunberg-Bewegung, die „vor allem bei Deutschen quasi-religiöse Züge“ angenommen habe (S.38). Die Grünen seien stets Katalysator von Ängsten gewesen – ob saurer Regen oder Waldsterben. „Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen, ist heute grün.“ (S. 49). Die Vermengung von grüner Politik und Religion werde bei Kirchentagen deutlich, die heute teilweise an grüne Parteitage erinnerten (S. 34). Der Bischof Heiner Koch hat das Engagement der „Fridays for Future“ und Greta Thunbergs in die Nähe biblischer Überlieferungen von Jesus Christus gerückt. Sein Vergleich von Freitagsdemos mit der „biblischen Szene vom Einzug in Jerusalem“ zeige die Absurdität der Debatte (S.74).
Grüne Ideologie in Kirchen, Unis und Medien
Nicht nur in den Kirchen, auch in den Hochschulen mache sich „von Linksaußen ein Geist breit, der Denkräume und Debatten einschränken will“ (S. 31). Dabei handele es sich keineswegs nur um ein deutsches Phänomen. Wie weit selbst „die Wissenschaft schon vor den Zielen der Linken kapituliert hat“ mache ein Experiment aus den USA deutlich: Drei amerikanische Geisteswissenschaftler haben dafür absurde Fachartikel in Unterdisziplinen von Cultural Studies und kritischer Theorie publiziert, die von zum Teil seriösen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, obwohl sie erfunden waren: Heterosexuelle Männer sollten sich selbst anal penetrieren, um ihre Homo- und Transphobie abzubauen; Astronomie sei eine intrinsisch sexistische Disziplin und sollte um eine feministisch-queere Astrologie erweitert werden, männliche weiße Studenten sollten in Seminaren künftig angekettet auf dem Boden sitzen, um wenigstens symbolisch für historische Verbrechen zu büßen (S. 70).
Auch die Medien kritisiert der Autor als einseitig – so berichteten sie zum Beispiel oft unkritisch über „Extinction Rebellion“, die er zu Recht als „Weltuntergangssekte“ bezeichnet (S. 64). Weite Teile der Medien müssten der „linksalternativen Elite“ zugerechnet werden, die die Identitätspolitik nutze, um „ein Stück weit kulturelle Hegemonie über ihre Mitmenschen zu erlangen“ (S.14).
Ziel ist die Beseitigung des Kapitalismus
Mit der Moralisierung der Debatte gehe ein erschreckendes Maß an Intoleranz einher – von Links- wie auch von Rechtsaußen. Ein Beispiel sei die Klimadebatte, in der „jede Wetterschwankung als Beleg für die Klimakatastrophe gedeutet“ werde (S.47). Die Untergangsrhetorik des Klimawandels sei aber hochgefährlich und eine reale Bedrohung für die offene Gesellschaft.
Aus Sicht von Luksic geht es den linken „Klimarettern“ im Grunde um die Beseitigung des Kapitalismus. Doch an die Stelle von ökonomischer und sozialer Argumentation sei seit einigen Jahren in der Linken eine kulturelle Identitätspolitik getreten. Das ist sicherlich teilweise richtig, doch sollte aus meiner Sicht auch nicht die auf „soziale Gerechtigkeit“ (womit tatsächlich Gleichheit gemeint ist) zielende Politik von SPD, Linken und Grünen unterschätzt werden. Der weltweite große Erfolg des Buches des linken französischen Ökonomen Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) und die Diskussionen um Mindestlohn, Begrenzung von Managergehältern, „Schere zwischen Arm und Reich“, Reichensteuern usw. sprechen gegen die These, dass die Linke sich von sozialen und ökonomischen Themen weitgehend verabschiedet hätte. Zu Recht bemerkt Luksic denn auch: „Je egalitärer die Gesellschaft wird, desto empfindlicher reagiert sie auf selbst kleine Unterschiede. Dieses Paradoxon ist zentral für das Verständnis aktueller Konflikte.“ (S.21) Zu diesen Facetten des öffentlichen Diskurses, der auch die Politik der Großen Koalition in Deutschland bestimmt, hätte ich mir in seinem Buch mehr gewünscht.
Warnung vor Öko-Diktatur und Öko-Terrorismus
Luksic sieht eine Radikalisierung der Öko-Bewegung. Die linke „taz“ träume immer häufiger von dem „Ruf nach dem Öko-Diktator“ und die linke Wochenzeitung „Freitag“ schrieb: „Öko-Diktatur? Ja bitte! Tempolimit, Flugverbot, Kohleausstieg: Hartes Eingreifen rettet den Planeten. Auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeitsplätze.“ (S.61)
Der FDP-Politiker warnt vor dem Gewaltpotenzial, wenn man solche Gedanken zu Ende denkt: „Der erste politische Mord in den Niederlanden seit hunderten Jahren beging kein Rechtsextremist, sondern ein Ökologist.“ (S. 58) Bang fragt Luksic: „Kann es bald so etwas wie eine Grüne Armee Fraktion geben, nur unter anderem Namen?“ (S. 63).
Dabei will Luksic den Rechtsextremismus keineswegs verharmlosen. Seine Kritik richtet sich gleichermaßen gegen beide Extreme, von links und rechts. In seinem Buch wird eine Aquidistanz zu Positionen von Rechtsaußen und Linksgrün deutlich – was allein schon für eine neue Empörung beim linksgrünen Mainstream sorgen dürfte.
Dass die linksgrüne Ideologie in dem Buch eine größere Rolle spielt als die rechtsextreme, liegt einfach daran, dass sie gesellschaftlich weit stärker akzeptiert ist. In Medien, Universitäten und Kirchen dominieren nun einmal nicht rechte, sondern linksgrüne Positionen. Niemand will mit der AfD koalieren, aber alle mit den Grünen.
Luksic meint, dass sich Extreme von Links und Recht gegenseitig hochschaukeln. Die AfD habe sich immer weiter nach rechtsaußen entwickelt. Luksic warnt jedoch gleichzeitig: „Die reflexhafte Dämonisierung der AfD, die von den Grünen ausgehend über die SPD bis in die FDP wirkt, birgt aber das Risiko, dass konservative Positionen, die vielleicht sogar einem Mehrheitsgefühl der Bevölkerung entsprechen, nicht mehr im demokratischen Spektrum abgebildet werden.“ (S. 50). Zustimmend zitiert er daher den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts wünschte und darauf hinwies, dass man zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch klarer unterscheiden müsse (S. 50). Ich würde hinzufügen: Dass die AfD von Anfang an (also auch in der Lucke-Zeit) von Medien und konkurrierenden Parteien als Nazi-Partei diffamiert wurde, hat zu ihrer Radikalisierung maßgeblich beigetragen, weil gemäßigte wirtschaftsliberale Kräfte die Partei verlassen haben und radikale „sozialpatriotische“ Kräfte die Gelegenheit sahen, ihre Positionen auszubauen.
Der Autor sieht manche Gemeinsamkeiten zwischen Grünen auf der einen und der AfD auf der anderen Seite. Gemeinsamkeiten sind ist in der Tat die Unduldsamkeit und Intoleranz in der Sprache und der missionarische Eifer – die früher vor allem ein Merkmal linksgrüner Gesinnung waren, heute aber auch bei vielen Rechten zu beobachten sind, die nicht nur auf linke Diffamierungen, sondern auch auf sachliche Kritik oft in einer aggressiv-unduldsamen Weise reagieren, die man auch von Linken und Grünen kennt. Zu Ursache und Wirkung hat Luksic jedoch eine klare Meinung: „Der Wandel hin zu einem identitären Politik-Ansatz links von der Mitte ist auch eine der Voraussetzungen für den Aufstieg rechtspopulistischer und autoritärer Parteien.“ (S. 77)
Das Buch besticht durch große Belesenheit und unterscheidet sich wohltuend von vielen anderen Politikerbüchern, die oft nicht mehr als eine Ansammlung von Phrasen sind. Luksics Buch ist aus meiner Sicht auch wichtig für die Positionierung der FDP und man würde sich wünschen, dass beispielsweise in der Friedrich-Naumann-Stiftung der Partei genau jene Diskussionen geführt werden, die Luksic hier anstößt. Seinen Namen sollte man sich merken.