Auf dem Buchrücken steht: „Das erste Buch überhaupt, das sich ausschließlich dem Thema Gewinn widmet.“ Man reibt sich die Augen: Hat der Verlag da zu dick aufgetragen? Nein, eine Suche bei Amazon zeigt: Es gibt jede Menge Bücher über Themen wie „soziale Verantwortung von Unternehmen“ oder „Corporate Social Responsibility“, aber es gibt kein Buch, das sich ausschließlich mit Gewinn befasst.
Zu wenig Gewinn
Nur eines von zehn Start-ups in Deutschland hält längerfristig durch, neun gehen innerhalb der ersten drei Jahre nach Gründung pleite (S. 7). Das ist bekannt. Was weniger bekannt ist: Viele Unternehmen machen kaum Gewinne. Die Umsatzrendite deutscher Unternehmen ist mit 3,6 Prozent im internationalen Vergleich niedrig – Schweizer Firmen beispielsweise sind mit 10,2 Prozent viel profitabler (S. 44). Die 3,4 Prozent sind ein Durchschnittswert, in den auch die wenigen Unternehmen eingehen, die hohe Umsatzrenditen von über 20 Prozent machen (Beispiele finden sich auf S. 53 f.). Dem stehen jedoch viele Unternehmen gegenüber, die nur minimale Gewinne erwirtschaften. Und dann wundern sich viele Unternehmer, wenn sie am Lebensabend ihre Firma nicht oder nur zu einem enttäuschend niedrigen Preis verkaufen können.
Der Autor berichtet (natürlich ohne die Firmennamen zu nennen) von Unternehmen, die für viele andere stehen: Ein hoch reputables Unternehmen, der Firmenchef ist 66 Jahre alt und arbeitet 60 Stunden die Woche. Auf die Frage nach dem Gewinn antwortet er: „Eigentlich machen wir keinen Gewinn, aber wir sind immer über die Runden gekommen, haben stets genügend investiert und stehen recht gut da.“ Tatsache ist, dass das Unternehmen in den letzten acht Jahren viermal marginale Gewinne und viermal Verluste gemacht hat. Die Zahlen waren jeweils nahe Null, die Verluste also nicht dramatisch, die Gewinne jedoch ebenfalls minimal. Und der Unternehmer versteht nicht, warum ihm niemand das Unternehmen zu seinen realitätsfernen Preisvorstellungen abkaufen will (S. 107).
Ein anderes Unternehmen, Hidden Champion im Anlagenbau, wird seit 36 Jahren von dem begeisterten Ingenieur geleitet, der heute 70 ist. Nie wurde ein Arbeitnehmer entlassen, die Belegschaft ist hochqualifiziert, der Maschinenpark auf dem neuesten Stand. Das Unternehmen scheint bestens dazustehen und macht einen Umsatz zwischen 50 und 100 Millionen Euro. Aber: In den letzten neun Jahren hat die Firma viermal Verluste eingefahren, in vier Jahren mit Mühe eine schwarze Null erreicht und nur in einem Jahr eine Nettoumsatzrendite von fünf Prozent erwirtschaftet. Der Inhaber freut sich über sein Wissenskapital, seine Marke, seinen Immobilienbesitz und wundert sich, dass er keinen Investor findet. „Er will einfach nicht akzeptieren, dass die miserable Gewinnhistorie den Unternehmenswert massiv nach unten drückt, schlimmstenfalls sogar einen Verkauf unmöglich macht.“ (S. 106)
Unternehmertum als Hobby und Liebhaberei
Der Eigentümer dieses Unternehmens sagt: „In meiner Welt sind die Motive des Wirtschaftens nicht in erster Linie hohe Finanzergebnisse. Für mich ist das nicht das Wichtigste in meiner Tätigkeit. Wenn das Grundbedürfnis eines normalen finanziellen Ergebnisses gedeckt ist, reicht mir das. Danach gibt es dann andere Motive, wie die Suche nach Perfektion, Freude an Neuentdeckungen, die Lust an der gemeinsamen Arbeit und die Freude an unseren Erfolgen.“ (S. 106) Sicherlich würden die meisten Journalisten und Intellektuellen einen solchen Unternehmer loben, dem es nicht um den schnöden Profit geht, sondern um Selbstverwirklichung. Nur: Was er tut, ist hoch riskant. Und auch verantwortungslos gegenüber seinen Arbeitnehmern. Denn wer so geringe Gewinne macht, steht eigentlich immer nur einen Meter vor dem Abgrund. Das sind die Unternehmen, die jetzt in der Corona-Krise mit dem Argument nach dem Staat rufen, sie seien pleite, wenn sie mal einen Monat nicht produzieren können. Der beste Schutz vor Zeiten der Krise sind hohe Gewinne.
Was der zitierte Unternehmer tut, hat mehr mit Liebhaberei zu tun als mit Unternehmertum. Das klingt hart, aber wenn man bedenkt, dass in den letzten zehn Jahren 42 Prozent aller Unternehmen in Deutschland Insolvenz anmelden mussten (1,4 Millionen), dann sieht man, dass Gewinn oft zu unwichtig genommen wird (S. 7). „Gewinn“, so der Autor, „ist und bleibt das alleinige Kriterium für den nachhaltigen Erfolg und die Überlebensfähigkeit von Unternehmen.“ (S. 7).
Auf die Frage, warum viele Unternehmen in Deutschland so wenig Gewinne machen, gibt es viele Antworten. Die wichtigste ist jedoch nach Meinung von Simon: „Meiner Erfahrung nach setzen zu wenige Unternehmer und Manager das Ziel Gewinn wirklich an die erste Stelle.“ (S. 110) Viele interessieren sich zu sehr für Umsatz-, Absatz- und Marktanteilsziele und zu wenig für den Gewinn. Dabei ist der Gewinn in Wahrheit ein wichtiger Indikator für die erbrachte Leistung und eine Voraussetzung für unternehmerische Unabhängigkeit sowie in der Folge für das Überleben des Unternehmens – und selbstverständlich auch für den Wohlstand des Unternehmers. Umgekehrt: „Unzureichende Gewinne oder gar Verluste erzeugen gegenteilige Wirkungen. Sie führen zu Frustration, Selbstzweifel, Demotivation und im Fall einer Insolvenz zur Zerstörung von Vermögenswerten.“ (S. 104).
Ist Gewinn unanständig?
Gewinn gilt in Deutschland als unanständig. Und wer sich gar zur „Gewinnmaximierung“ bekennt, wird einen Sturm der Empörung auslösen. „Manche Menschen bringt allein schon das Wort Gewinn in Rage.“ (S. 9) Kritik an der Gewinnorientierung, so Simon, kommt vor allem von Intellektuellen – und keineswegs nur aus dem linken Lager. „Das bornierte Streben nach Profit“, liest man im FAZ-Feuilleton. Und der politische Philosoph Otfried Höfe fragt: „Dürfen Unternehmer Gewinne machen?“ Schon die Frage ist absurd.
Die Diffamierung des Gewinns führt zu einer Tabuisierung: Über Gewinne spricht man nicht. Man spricht gerne über Mitarbeiterzahl, Marktanteil oder Umsatz, vermeidet jedoch das Thema Gewinn. In Pressemitteilungen privater Unternehmen werden nur selten Gewinnzahlen genannt (S. 95). In der Bevölkerung herrschen absurde Vorstellungen von der Gewinnhöhe der Unternehmen. Bei älteren Befragungen schätzten die Deutschen die Umsatzrendite nach Steuern auf knapp 16 Prozent, damals lag sie bei 2,6 Prozent. In einer anderen Befragung wurde sie auf 24 Prozent geschätzt, betrug tatsächlich jedoch nur 2,02 Prozent (S. 32 f.).
Der Autor machte sich einen Spaß daraus und erhob eine (natürlich nicht repräsentative) Umfrage in der Fußgängerzone bei 100 Passanten. Der Median der Schätzungen zur Umsatzrendite lag bei 19 Prozent, der Durchschnitt bei 22,8 Prozent. Manche Passanten verweigerten allerdings eine Antwort, beispielsweise mit dem Argument, sie lehnten Gewinne grundsätzlich ab (S. 33).
Wichtigkeit des Gewinns unterschätzt
Aber nicht nur linke Intellektuelle missachten den Gewinn, auch viele Investoren nehmen ihn – wie in der New Economy-Zeit – nicht besonders wichtig. 84 Prozent der Unternehmen, die an die Börse gehen, machen keine Gewinne und erhalten dennoch horrende Bewertungen (S. 236). Ja, es gibt Unternehmen, die sehr lange auf Gewinn verzichten, immer wieder Investoren finden und schließlich gigantische Gewinne erwirtschaften. Amazon, das 20 Jahre lang kaum Gewinne machte und dessen Gründer heute der reichste Mann der Welt ist, ist das bekannteste Beispiel. Aber auf ein Amazon kommen Hunderttausende andere, die den Gewinn geringschätzen und schließlich insolvent werden.
Vieles spricht für hohe Gewinne, vor allem: Hohe Gewinne bedeuten Freiheit und Sicherheit. Freiheit, denn ein Unternehmer, der Gewinne erwirtschaftet, verringert damit seine Abhängigkeit von Banken, Kunden und Lieferanten. Wer dagegen Verluste einfährt, verliert Freiheit und Autonomie. „Die Banken schränken seinen Spielraum ein, er ist auf jeden Auftrag angewiesen, die Arbeitnehmer fürchten um ihre Arbeitsplätze, sodass sich das Betriebsklima verschlechtert. Und im Insolvenzfall ist es mit der Freiheit des Unternehmers endgültig vorbei, denn dann übernimmt ein vom Gericht bestellter Verwalter die Regie.“ (S. 85)
Das Buch ist Pflichtlektüre für jeden Unternehmer und zugleich eine gesellschaftspolitisch wichtige Streitschrift für den Kapitalismus und für den Gewinn. Der Autor ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit, nämlich sowohl ein sehr erfolgreicher Unternehmer als auch ein renommierter Wissenschaftler und weltweit bekannter Bestseller-Autor („Hidden Champions“). Er führt aus und begründet, was schon Milton Friedman sagte: „The social responsibility of a business is to make profits.“