Gerd Kommer: Souverän investieren vor und im Ruhestand. Mit ETFs Ihren Lebensstandard und Ihre Vermögensziele sichern. Campus Verlag Frankfurt/New York 2020, 343 Seiten.
Ich habe alle Bücher von Gerd Kommer und zahlreiche seiner Aufsätze gelesen. Kommer hat mein Denken über Wertpapiere entscheidend beeinflusst – ich habe mich bereits in meinem 2015 erschienenen Buch „Reich werden und bleiben“ auf die Ergebnisse seiner Dissertation gestützt und inzwischen schätze ich ihn auch als Freund und wertvollen Sparringspartner, wenn es um Finanzfragen geht. Kommers Bücher sind faszinierend, weil sie mit strenger Wissenschaftlichkeit und Detailgenauigkeit sehr komplexe Themen behandeln, aber am Ende in einem denkbar einfachen Rat münden:
Investiere alles Geld (außer den notwendigen Liquiditätsreserven für Unvorhergesehenes und vorhersehbare Ausgaben) in einen möglichst breit anlegenden, weltweiten ETF-Aktienfonds sowie in einen weiteren ETF-Fonds, der in kurzlaufende Staatsanleihen von Länder mit bestem Länderrating investiert (S. 198 ff.). Investiere dieses Geld sofort, versuche kein Market-Timing (S. 221 ff.), verkaufe auch nicht bei einem Crash.
Die realen Renditen (also nach Inflation), die laut Kommer bei seiner Strategie realistisch sind, bewegen sich – je nach Aktienanteil zwischen 5% (bei 100% Aktienanteil) und 0,2% (bei 100% Anleihen) (S. 200). Anders als andere Finanzbuchautoren verspricht er also seinen Lesern nicht, mit dieser Strategie reich zu werden. Reich, das sieht er so wie ich, wird man in der Regel nur durch gute Ideen und unternehmerische Tätigkeit – die jedoch vielfach mit hohem Risiko verbunden ist (S. 110 f.).
Die wohl wichtigste Erkenntnis von Kommer ist, dass es bei der Geldanlage vor allem darauf ankomme, die größten Fehler zu vermeiden (S. 55). Kommer setzt sich detailliert mit den verschiedenen Anlageformen wie Hedgefonds, Private Equity, aktiv gemanagten Fonds, Kapitallebensversicherungen, Bausparverträgen, Rohstoffen, Kryptowährungen, aktiv gemanagte Aktienfonds, Einzelaktien und Immobilien auseinander. Um es kurz zu machen: Er hält von allen diesen Anlagen nichts – und er hat sehr gute Argumente.
Besser Staatsanleihen als Bankguthaben
Auch warnt Kommer völlig zu Recht davor, größere Summen (über 100.000 Euro) längere Zeit einer Bank zu leihen. Diese Seiten (62 ff.) sollte jeder lesen, der so naiv ist und nicht versteht, dass es sich bei Bankguthaben um eine Anlage handelt, bei der die Risiken nicht einmal annähernd bezahlt werden. Ich wundere mich stets, dass vermögende Anleger manchmal Millionenbeträge auf dem Bankkonto liegen haben. Ihr Argument: Wenn die Bank Pleite geht, werde der Staat sie schon retten. Kommer ist der Meinung, die Hoffnung sei naiv, dass unter solchen Voraussetzungen Reiche mit ihren Millionenguthaben vom Staat gerettet würden. Ich stimme zu und möchte hinzufügen: Warum soll ich dem bonitätsschwachen Meier Geld leihen, nur in der Hoffnung, dass ihn der bonitätsstärkere Müller heraushauen wird? Dann kann ich es gleich dem Müller leihen, besonders dann, wenn mir beide keine Zinsen zahlen.
Geld in Staatsanleihen mit negativen Zinsen zu investieren, widerstrebt vielen Menschen. Doch das ist eine emotionale Reaktion, die von wenig Faktenkenntnis zeugt. Kommer belegt mit historischen Zahlenreihen (S. 58), dass es eher die Regel als die Ausnahme ist, dass die Realrendite für erstklassige Staatsanleihen negativ ist. Die angebliche Sondersituation in der Niedrigzinsphase ist eher der Normalfall – wenn man die Inflation mit berücksichtigt.
Immobilien
Bei Immobilien bin ich nicht ganz Kommers Meinung. Er weist zu Recht auf die niedrigen Renditen hin, die viele Anleger erzielen – und zitiert dabei eine Untersuchung, die ich selbst angeregt habe. Er räumt auch mit der Legende auf, Immobilien seien eine „stabile“ Anlage, nur weil man die Volatilität nicht sieht. Aber er weiß auch, dass Untersuchungen belegen, dass Immobilieneigentümer im Alter mehr Vermögen haben als Mieter. Dies gilt wohlgemerkt auch für die gleiche Einkommensgruppe. Kommer nennt auch einen entscheidenden Grund dafür, nämlich die höhere Sparquote bei Immobilienbesitzern. (S. 277).
Der Hauptgrund für die beschriebene Diskrepanz in den Vermögensverhältnissen von Mietern und Immobilieneigentümern ist in der Tat das sehr unterschiedliche Sparverhalten. Beide Gruppen, also Mieter und Wohnungseigentümer, sparen außerhalb der Tilgung etwa gleich viel. Sie legen also gleich hohe Beträge in Lebensversicherungen, Sparplänen, Aktien und anderen Kapitalanlagen an. Man hätte vielleicht erwarten können, dass die Immobilieneigentümer etwas weniger in anderen Anlageformen sparen, weil sie das Geld für die Tilgung ihres Darlehens brauchen. Dem ist jedoch nicht so. Bei den Immobilieneigentümern kommt die Tilgung der Immobilie zu den sonstigen Sparleistungen noch hinzu. Im Alter verfügen diese Menschen über eine entschuldete Immobilie und können dann die zur Gewohnheit gewordene Sparleistung in anderen Anlageformen fortsetzen.
Kommer argumentiert, dass Aktien eine höhere Rendite als Wohnimmobilien bringen. In der Tat: Wer über 30 oder 40 Jahre diszipliniert in einen weltweit anlegenden ETF anspart, dürfte am Ende ein deutlich höheres Nettovermögen haben als der Immobilieneigentümer. Da stimme ich Kommer zu. Kommer räumt jedoch in einem Nebensatz ein (S. 126), dass dies nur dann der Fall ist, wenn der Mieter die gleiche Konsumverzichtsdisziplin aufbringt wie der Eigentümer, der Monat für Monat seine Tilgung abzahlt.
Das Problem ist nur: Kaum jemand hat diese Disziplin. Die meisten Anleger unterbrechen den Sparplan oder verkaufen ihre Aktien, beispielsweise weil sie es bei einem Crash mit der Angst zu tun bekommen oder weil sie das angesparte Geld für andere Zwecke brauchen. Das ist bei einer Immobilie sehr viel unwahrscheinlicher – kein Eigentümer wird einfach so die Ratenzahlungen an die Bank einstellen oder die Wohnung verkaufen, weil er Geld für neue Anschaffungen braucht. Die Immobilie ist ein Zwangssparplan, der Menschen zwingt, jene Disziplin aufzubringen, die auch bei Aktiensparplänen wichtig wäre.
Hinzu kommt: Bei Immobilien glaube ich – anders als bei Aktien – nicht daran, dass alle relevanten Informationen im Marktpreis enthalten sind. Dafür ist die Immobilie viel zu individuell und die Marktteilnehmer sind oft sehr viel unprofessioneller als am Aktienmarkt. Ich bin selbst zu vermögend geworden, weil ich meine Rationalität der Irrationalität anderer Marktteilnehmer am Immobilienmarkt entgegengesetzt habe. Ich habe hier schon oft Gelegenheiten erlebt, wo die Rendite-Risiko-Struktur extrem vorteilhaft war, also das tatsächliche Risiko sehr viel geringer als das von den meisten Marktteilnehmern wahrgenommene Risiko. Heute sehe ich freilich solche Situationen nicht und würde daher nicht in Immobilien neu investieren, sondern habe viele verkauft. Umso wichtiger waren und sind für mich Kommers Erkenntnisse zu Wertpapieren.
Ich stimme ihm vollkommen zu, dass Investments in Einzelaktien fast immer Selbsttäuschung sind und zu Verlusten führen. Wie von Kommer empfohlen, habe ich selbst in einen ETF auf den MSCI ACWI investiert – und einen Teil meines Geldes in kurz laufende Staatsanleihen. Allerdings habe ich auch einen (allerdings nur kleinen Teil) in Gold investiert, das Kommer skeptisch sieht. Für mich ist es eine Versicherung für den Fall eines Finanzcrahs.
Ich habe viel von Gerd Kommer gelernt, und obwohl sich naturgemäß in diesem Buch manches aus seinen anderen Werken wiederholt, empfehle ich jedem die Lektüre dieses Buches – auch wenn er schon andere Bücher des Autors gelesen hat. Zweimal unterstreichen möchte ich seine Aussage, dass man beim Investieren nicht in Monaten oder wenigen Jahren denken solle (S. 222). Das gilt nicht nur für Aktien – ich war es sowieso von Immobilien schon gewohnt, langfristig zu denken, weil sich hier schon aus steuerlichen Gründen ein Anlagehorizont von mindestens 10 Jahren empfiehlt.
Was ich bis heute nicht ganz verstanden habe: Wozu braucht man einen Vermögensverwalter, wenn sich am Ende die ganze Weisheit darin zusammenfassen lässt, einen weltweit anlegenden Aktien-ETF und einen weiteren ETF zu kaufen, der in erstklassige Staatsanleihen investiert – und dann nichts mehr zu tun (außer evt. hin und wieder Rebalancing). Ich stimme Kommer zu: Der größte Feind des Anlegers ist vermutlich die zwanghafte Vorstellung, immer irgendetwas „tun“ zu müssen. Nichtstun ist meist die beste Strategie – und dazu noch die bequemste!