Dieses Buch ist die Autobiographie eines erfolgreichen Immobilieninvestors, der sich selbst freilich nicht so bezeichnen würde. Hans Walls Immobilien sind nicht Büro-, Einzelhandelsobjekte oder Wohnungen, sondern Stadttoiletten, Bushaltestellen und ähnliche Objekte, die er Stadtmöbel nennt.
Anfang der siebziger Jahre begann seine Karriere. Sie begann damit, dass Wall Dinge wahrnahm, die andere übersehen. Dinge, die mit den ganz alltäglichen Bedürfnissen der Menschen zu tun haben. Zum Beispiel die Qualität von Buswartehäuschen. „Viele Menschen, gerade Schüler, Senioren oder Schichtarbeiter, waren auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. In Schneeregen und Hagelsturm auf einen verspäteten Bus warten zu müssen, das war eine Zumutung.“ Wall baute Buswartehallen in sehr viel besserer Qualität, als dies bislang üblich war – und dazu noch kostenlos. Seine Idee: Er bot diese „Stadtmöbel“ den Kommunen kostenlos an, inklusive Wartung. Dafür wollte er nur das Geld, das man mit der Vermietung der Werbeflächen verdienen konnte. Für die Gemeinden bedeutete das ein Geschenk des Himmels.
„Die Idee mit den Buswartehallen erwies sich als Knüller. Es dauerte keine drei Jahre, da hatte ich 1300 solcher Häuschen aufgestellt. Unsere Hallen standen in Crailsheim und Worms, Bremerhaven und Schleswig, Speyer, Celle und mehr als 40 anderen Städten.“ Doch an 1300 verschiedenen Orten in ganz Deutschland eine Buswartehalle in Ordnung zu halten, zu reinigen, Vandalenschäden zu reparieren, neue Werbung zu kleben, das erwies sich als logistisch kaum zu bewältigende Aufgabe. „Es erwies sich als nahezu unmöglich, guten Service auch noch in den hinterletzten Dörfern zu garantieren.“ Geld verdienen, so erkannte Wall, konnte man nur mit den Städten, aber nicht ausschließlich auf dem Land.
„Ich brauchte die Großstädte“, so die Folgerung von Wall. Und Wall entschied sich, Berlin zu erobern, wo er 1984 auch hinzog. „Die Berliner Wartehallen-Situation war besonders prekär. In der Mauerstadt hatten sich die seltsamsten Unterstände angesammelt, aus Blech, aus Holz, aus gewelltem Kunststoff, der im Volksmund ‚gefrorene Pisse‘ hieß, meist baufällig, mit den Spuren von Vandalen-Generationen gezeichnet, oft nur zusammengehalten von dicken Schichten verleimter Werbeplakate. Die Werbung wurde allerdings dramatisch weniger, weil kein Kunde seine Reklame an den Ruinen kleben sehen wollte.“ Die einzige Dauerwerbung, so Wall, hatte ein Bestattungsunternehmen gebucht.
Wall baute nicht einfach bessere Wartehallen, er wollte perfekte Wartehallen bauen – mit edlen und beleuchteten Vitrinenpräsentationen für die Werbung. Wall verdiente damit Geld, dass er ganz einfache elementare Bedürfnisse von Menschen „entdeckte“, über die andere sich keine Gedanken machen. So entwickelte er perfekte Toilettenhäuschen, und meldete dabei noch ein Patent für eine behindertengerechte Toilette an.
Mit seiner Idee reüssierte er nicht nur in Berlin. 1988 begann er mit der Expansion in die Niederlande. Es folgten Russland und die Türkei, Ungarn, Slowenien, Rumänien und Bulgarien. In der Türkei etwa hat sein Unternehmen innerhalb von drei Jahren 800 Wartehallen und 330 Stadtinformationsanlagen gebaut. Heute stehen Hans Walls Stadttoiletten, Wartehäuschen und Hundeklos auf allen fünf Kontinenten.
Die Geschichte, die er erzählt, ist eine sehr persönliche Geschichte. Es spricht für ihn, dass er sehr viel mehr Emotionen preisgibt als die meisten Menschen, die eine Autobiographie schreiben. Er berichtet, wie er unter einem sehr strengen Vater litt, der zu seinem Lehrer sagte: „Aus dem Jungen wird ja doch nichts. Das hat doch keinen Sinn, den aufs Gymnasium zu schicken.“ Nicht hundert-, sondern tausendmal in seinem Leben habe er an diese Sätze gedacht, so Wall. Was bei anderen zu einer negativen Programmierung führt, war für ihn offenbar der Stachel, der ihn stets dazu antrieb, sich und seiner Umwelt zu beweisen, dass er doch etwas kann.
Walls großes Plus sind seine Sensibilität, seine Kreativität und sein Durchhaltevermögen, das im Kampf gegen die mächtige Konkurrenz aus Frankreich ebenso wie mit sturen Bürokraten in den Verwaltungen immer wieder auf die Probe gestellt wurde. Sensibilität bringt er mit für die ganz einfachen Bedürfnisse der Menschen – zum Beispiel nicht in zugigen Bushaltestellen zu frieren oder in der Stadt genügend saubere Toiletten zur Verrichtung der Notdurft vorzufinden. Kreativität und Tüftlergeist bewies der gelernte Ingenieur immer wieder, um technisch fortschrittliche Lösungen zu finden – er hat mehrere Ordner voll mit Patenten für seine Stadtmöbel.
Als ich das Buch las, erinnerte ich mich an einen der besten und für die Anleger ertragreichsten Fonds von Jamestown am One Time Square in New York – ein Großteil der Erträge kommt nicht aus der Vermietung der Büroflächen, sondern der Werbeflächen. Bei Wall kommen alle Erträge aus dieser Quelle. Wäre nicht die Finanzierung solcher Projekte mit geschlossenen Fonds eine interessante Idee? Ich bin neugierig, was Hans Wall, heute Aufsichtsratsvorsitzender der Wall AG, dazu sagen wird.