Unternehmerbiographien gibt es viele – Unternehmerinnenbiographien nur wenige. Die vorliegende Biographie erzählt die Geschichte von Ruth Handler, Mitgründerin und Vorstand des amerikanischen Spielwarenkonzerns Mattel. Bekannt wurde sie durch ihre Erfindung der Barbie-Puppe. Heute ist die Barbie-Puppe das bekannteste und erfolgreichste Spielzeug der Welt. Als Handler sie jedoch erstmals auf der Spielwarenmesse in New York im Jahr 1959 präsentierte, wollte niemand etwas von der neuen Puppe wissen.
An der Puppe war alles anders als an den bisher verbreiteten Puppen: Sie sah nicht kindlich aus, sondern wie eine Frau. Die Leute lachten Ruth Handler aus: Welche Mütter würden schon für ihre Tochter eine Puppe mit einem großen Busen, einer extrem schlanken Taille und superlangen Beinen kaufen? Auch die Profis der großen Spielwarenketten sahen das so. Und Ruth Handler hatte in ihrem Optimismus bereits für das nächste halbe Jahr jede Woche 20.000 Barbies aus der Produktion in Japan bestellt. In Panik sandte sie nun ein Telegramm nach Japan und bat, die Produktion um 40 Prozent herunterzufahren.
Das erste Mal war Ruth Handler Anfang der 50er Jahre die Idee mit der Puppe gekommen, die sie später nach ihrer Tochter Barbara benennen sollte. Sie hatte beobachtet, wie gerne ihre Tochter und deren Freundinnen mit ausgeschnittenen Papierpuppen spielten, die sie immer wieder an- und umzogen. Ihr war aufgefallen, dass ihre Tochter und die anderen Mädchen dabei besonders ein Modell bevorzugten, nämlich eine erwachsene Frau. Sie identifizierten sich mit diesem Modell – so wollten sie später auch einmal sein, wenn sie erwachsen wären: Attraktiv, schön angezogen und geschminkt. Wie viel interessanter würde es für die Mädchen sein, so überlegte Handler, statt mit Papierpuppen mit einer richtigen, dreidimensionalen Puppe zu spielen? „I knew that if only we could take this play pattern and threedimensionalize, we would have something very special.“
Die Idee ging ihr nicht aus dem Kopf, doch solche Puppen, wie sie sich vorstellte, gab es damals nicht. Doch dann passierte es: 1956 flog sie zu einer sechswöchigen Tour durch Europa, und in Luzern, in der Schweiz, sah sie im Schaufenster eine Puppe mit dem Namen Lilli. Sie war 30 Zentimeter groß und hatte eine blonde Pferdeschwanz-Frisur. Ruth und ihre Tochter Barbarba, die damals 15 Jahre alt war, hatten noch nie im Leben eine solche Puppe gesehen. Sie war auch nicht für Kinder bestimmt. Die Puppe war einer Comic-Serie in der BILD-Zeitung nachgemacht und eher als Jux-Geschenk für Männer gedacht. Handler kaufte die Puppe – sie wusste: das war genau das, was sie sich seit Jahren vorgestellt hatte. Eine solche Puppe wollte sie für junge Mädchen produzieren lassen.
Doch das erwies sich als sehr viel schwieriger als sie es sich vorgestellt hatte. Die Puppe sollte ja möglichst „echt“ aussehen, mit anmodellierten Wimpern und vor allem mit Kleidern, die man aus- und anziehen konnte. Schnell stellte sich heraus, dass die Produktion einer solchen Puppe viel zu teuer würde. Handler war klar, dass eine solche Puppe nur in Japan produziert werden konnte, wo die Lohnkosten damals sehr niedrig waren. Sie reiste nach Japan und mehrere Jahre experimentierten verschiedene Hersteller, bis es gelang, eine Puppe für drei Dollar herzustellen, was damals etwa sechs Euro entsprach. Zu den Kosten für die Puppe hinzu kamen noch die Ausgaben für die Kleider, die besonders teuer waren. Das Anfangsgehalt eines kaufmännischen Angestellten in den USA lag damals bei 100 bis 150 Euro im Monat, und so konnten es sich zunächst nur Angehörige der oberen und mittleren Schichten leisten, die Barbie zu kaufen.
Ruth Handler hatte bereits 1945 zusammen mit ihrem Mann und einem anderen Partner eine Firma gegründet, die zunächst Bilderrahmen und später Puppenhausmöbel herstellte. Ihr Mann war ein genialer Tüftler, der immer neue Ideen für Spielzeuge hatte. Er war jedoch sehr introvertiert und gewiss kein guter Verkäufer. Diese Rolle übernahm seine Frau Ruth, die ein geniales Gespür für Marketing und Werbung bewies. So buchte sie, was bislang keine Spielwarenfirma getan hatte, das ganze Jahr Fernsehwerbung für ihre Spielsachen. Sie begann 1955 mit einer landesweiten Produktwerbung in der TV-Sendung „Mickey Mouse Club“ der Disney Company, die damals die beliebteste Kindersendung war.
Das revolutionierte die Spielzeugindustrie, denn von nun an bestimmten nicht mehr die Eltern, was sie ihren Kindern schenkten, sondern die Kinder drängelten so lange, bis ihnen ihre Eltern das Spielzeug kauften, das sie in der Fernsehwerbung gesehen hatten.
Handler hatte sich bislang vor allem auf den Verkauf und das Marketing konzentriert, aber keine eigenen Spielsachen erfunden. Dies überlas sie ihrem Mann. Die Barbie war ihre erste Erfindung. Für viel Geld ließ sie sich ein Gutachten von dem damals berühmten Werbepsychologen Ernest Dichter erstellen. Er interviewte 191 Mädchen und 45 Mütter. Das Ergebnis: die meisten jungen Mädchen liebten die Puppe, die Mütter hassten sie. Dichters Frau berichtete später: „He interviewed girls about what they wanted in a doll. It turns out that what they wanted was someone sexy looking, someone that they wanted to grow up to be like. Long legs, big breasts, glamorous.” Dichter schlug vor, die Brüste der Barbie-Puppe noch größer zu machen – und schließlich hatte sie Proportionen, die bei einer Frau den Maßen 99-46-84 cm entsprochen hätte. Doch war es wirklich das, was junge Mädchen wollten?
Die Fernsehwerbung brachte die Träume der Mädchen in einem Song zum Ausdruck: „Someday I’m going to be just like you, ’till then I know what I’ll do… Barbie, beautiful Barbie, I’ll make believe that I am you.“ Als die Werbekampagne für Barbie begann, machten sich die Wettbewerber von Mattel darüber lustig: “Can you believe what that crazy Mattel did? They went on TV and expected moms to buy whorelooking dolls for their kids.” Nicht nur die Wettbewerber waren skeptisch. Auch die Mitarbeiter in der eigenen Firma glaubten nicht an den Erfolg der vermeintlich verrückten Idee.
Doch nachdem die Barbie-Puppe zunächst auf große Skepsis stieß, wurde sie ein riesiger Erfolg und machte die Firma Mattel zu einer der größten Spielzeugfirmen der Vereinigten Staaten. Nur ein Jahr, nachdem das Unternehmen mit der Puppe auf den Markt gekommen war, ging es an die Börse. Und fünf Jahre später erreichte es einen Jahresumsatz von 100 Millionen US-Dollar und belegte zum ersten Mal einen Platz unter den „Fortune 500“-Unternehmen.