Der Autor der nachfolgenden Rezension, Dr. Rainer Zitelmann, hat Hans-Olaf Henkel auch einige Fragen zu seinem Buch gestellt. Das Interview, das unter anderem die aktuelle politische Diskussion zu den EU-Schuldenstaaten thematisiert sowie die Reaktionen auf Henkels Buch aufgreift, finden Sie hier.
Der ehemalige BDI-Präsident, den ich stets sehr gerne in Talkshows sehe, wo er sich dem allgemeinen bundesrepublikanischen Konsens der „sozialen Gerechtigkeit“ mit ebenso intelligenten wie erfrischend vorgetragenen Argumenten widersetzt, beschreibt in seinem neuen Buch, wie er vom dezidierten Euro-Befürworter zum Euro-Kritiker wurde.
Leider war es in Deutschland von Anfang an ein Tabu, gegen den Euro zu sein. Ich habe das selbst 1995 erlebt, als ich den damaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Dregger zu einer Veranstaltung eingeladen hatte und dieser – obwohl er sehr gerne kommen wollte – auf direkten Druck von Helmut Kohl seine ursprüngliche Zusage zurückziehen musste, und zwar nur deshalb, weil ich den Euro-Kritiker Brunner auch eingeladen hatte. Bis heute ist es so geblieben, dass Kritik am Euro in der politischen Klasse als unverzeihlicher Tabubruch gewertet wird. Und deshalb beginnt Henkel sein Buch mit einem ganz grundsätzlichen Kapitel, das er „Die Maulkorb-Republik“ nennt und in dem er sich mit den zahlreichen von Wächtern der „Political Correctness“ errichteten Tabus und Denkverboten auseinandersetzt.
Im zweiten Kapitel erzählt Henkel die Erfolgsgeschichte der Deutschen Mark. Dabei verschweigt er auch nicht die Kehrseite der starken D-Mark, die sich insbesondere für Export-orientierte Unternehmen zeigte. Doch auch dies hatte etwas Gutes, denn damit „entstand in der deutschen Industrie ein vorher nie gekannter Innovationsdruck. Da unsere Produkte für ausländische Kunden immer teurer wurden, musste das durch höhere Qualität und technischen Fortschritt ausgeglichen werden. Zusätzlich ließen sich die Exportpreise dadurch senken, dass man Kosten einsparte, also mit weniger Mitarbeitern mehr produzierte.“ (S. 51)
Die Abschaffung der D-Mark und die Einführung des Euro deutet Henkel im politischen Kontext. Helmut Kohl war bereit, die D-Mark als Gegenleistung dafür aufzugeben, dass unsere Nachbarländer uns die Wiedervereinigung „erlaubten“. Insbesondere die Franzosen stellten sehr offen einen Zusammenhang zwischen den beiden Themen her.
Die Probleme, die mit einer Euro-Einführung verbunden sein würden, waren schon damals deutlich, aber viele Deutsche – so auch Henkel selbst – konnten die Einführung der europäischen Währung dennoch akzeptieren, weil es Deutschland gelungen war, dem Euro seinen „Prägestempel“ in Form des Maastrichter Vertrages aufzudrücken. Eine unabhängige EZB mit Sitz in Frankfurt nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank, vor allem jedoch die Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages und die in Artikel 125 festgeschriebene No-bail-out-Klausel, schienen Gewähr dafür zu bieten, dass der Euro eine starke Währung werden würde (S. 75 f., 82).
Im Kapitel fünf mit der Überschrift „Wie ich für den Euro kämpfte“, erklärt Henkel seine persönlichen Motive für sein damaliges dezidiertes Eintreten für den Euro. Vor allem hoffte er, dass die Stabilitätskriterien des Vertrages (Neuverschuldung maximal 3%, Gesamtschuldenstand maximal 60%) auch in Deutschland zu einer höheren Haushaltsdisziplin führen würden (S. 86). Sogar Länder wie Spanien und Italien schienen sich rasch vom Saulus zum Paulus gewandelt zu haben, zeigten strikte Haushaltsdisziplin bzw. reformierten den verkrusteten Arbeitsmarkt. All dies stimmte Henkel optimistisch. Leider waren die Euro-Länder jedoch nur so lange diszipliniert, wie sie es sein mussten, um die Kriterien für die Aufnahme in die Euro-Zone zu erfüllen. Einmal in der Euro-Zone, verfielen sie rasch wieder in ihre alten Verhaltensweisen. Schon bald zeigte sich ein entscheidender Schwachpunkt des Maastrichter Vertrages: „Man setzte strikte Maßstäbe fest, ließ aber bei deren Kontrolle die Striktheit vermissen… Dasselbe Problem zeigte sich in Hinblick auf Strafmaßnahmen, falls ein Mitglied die Regeln brach.“ (S. 90) Wirksame Sanktionen bei der Verletzung der Kriterien erfolgten schon deshalb nicht, wie bald deutlich wurde, weil die potenziellen Angeklagten selbst mit auf der Richterbank saßen. (S. 91)
Die rot-grüne Regierung schickte sich schon bald an, die Kriterien ohne jede Not zu verletzen und die Franzosen taten es den Deutschen gleich. Das Defizitverfahren, das Brüssel gegen Deutschland und Frankreich angestrengt hatte, wurde jedoch einfach ausgesetzt. Damals, 2002 und 2003, war Henkels Euro-Optimismus bereits einer skeptischen Sichtweise gewichen, die dann endgültig durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise bestärkt wurde.
Henkel schildert minutiös, wie im Mai 2010 der Vertrag von den Mitgliedsstaaten gebrochen wurde und schließlich alle Dämme eingerissen wurden, die ursprünglich einmal zur Sicherung der Stabilität des Euro errichtet worden waren. Kritisch setzt er sich vor allem mit der Rolle Angela Merkels auseinander, die sich von den Franzosen über den Tisch ziehen ließ. Das, was den Euro bei seiner Einführung auszeichnete, nämlich ein System von strikten Bestimmungen, insbesondere die No-bail-out-Klausel, wurde in wenigen Tagen panisch über Bord geworfen. Die Entwicklung ist weitergegangen, seit Henkel sein Buch zu Ende geschrieben hat, und leider wurden und werden durch die seither gefassten Beschlüsse der Euro-Regierungschefs all seine Befürchtungen mehr als nur bestätigt.
Der Autor entwirft auch eine Alternative zum bestehenden Euro-System. Er schlägt die Einführung von zwei Euro-Währungen vor, nämlich einem Nord-Euro, dem Deutschland, Österreich, Finnland und die Benexlux-Staaten angehören sowie einem Süd-Euro, geführt von Frankreich mit Spanien, Italien, Griechenland und Portugal als Mitgliedsländern. Übrigens: Da der Autor in dem Buch die Leser auffordert, einen Namen für die beiden Währungen zu finden, schlage ich für den Süd-Euro den Namen ECU vor (das würde den Franzosen gefallen).
Natürlich wären beide „Euros“ nicht gleich stark, sondern der Süd-Euro wäre wesentlich schwächer als der Nord-Euro. Aber genau dies sei ein Vorteil, wie Henkel belegt, denn die Schwäche des Süd-Euro würde sich als Stärke für die betreffenden Länder erweisen, die endlich wieder ordentlich exportieren könnten, weil sie konkurrenzfähige Preise anbieten würden (S. 182). „Durch heute nicht mögliche competitive devaluations würden sich ihre Handelschancen auf den globalen Märkten wieder erhöhen. Denn, wie gesagt, für die weniger produktiven Länder bildet der hohe Euro-Kurs ein oft unüberwindliches Handelshindernis – eine abgewertete Währung aber böte ihnen steigende Exportchancen. Mit zwei Währungen würden gerade die Wachstumschancen der südlichen Länder erhöht.“ (S. 189)
Ich fände es wünschenswert, wenn dieser Vorschlag von Henkel von der deutschen Politik ernsthaft diskutiert würde, jedoch glaube ich das nicht. Ich glaube vielmehr, der Euro wird so lange weiter existieren, bis es zu einer äußerst dramatischen Krise kommt, die dann zum Zusammenbruch des jetzigen Währungssystems führen wird. Natürlich wäre eine geordnete Euro-Neuordnung, wie Henkel sie vorschlägt, wesentlich besser, aber das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Von Anfang an war der Euro vor allem ein politisches Projekt mit starker ideologischer Komponente. Das Festhalten am Euro ist von allen Parteien heute zur deutschen Staatsräson erklärt worden. Dennoch erwarte ich, dass sich die wirtschaftliche Logik und die Finanzmärkte durchsetzen werden, die stärker sind als politische Ideologien. Bis es zu alternativen Lösungen kommt, wie Henkel sie vorschlägt, werden wir alle noch einen hohen Preis dafür zu zahlen haben, dass die politische Klasse um jeden Preis an dem utopischen Projekt einer einheitlichen Währung ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik festhalten will. Die schlimmste Lösung wäre allerdings, wenn sich der französische Wunsch nach einer europäischen Wirtschaftsregierung durchsetzte. Europa hätte dann im Wettbewerb mit Asien und den USA keinerlei Chance mehr.
Henkel hat ein aufrüttelndes Buch geschrieben. Es liest sich spannend von der ersten bis zu letzten Seite, verbindet eine hohe fachliche Kompetenz mit kritischem Geist und schildert zudem die Psychologie der politischen Klasse und ihrer führenden Protagonisten in Deutschland in einer Weise, wie ich dies bislang noch nicht gelesen habe.