empfohlene-wirtschaftsbuecher: Herr Chiwitt, Sie haben ein Buch zur Verteidigung der Marktwirtschaft geschrieben. Wieviel Marktwirtschaft haben wir denn heute überhaupt noch in Deutschland?
Ulrich Chiwitt: Wir haben offensichtlich noch immer soviel Marktwirtschaft, dass Deutschland nach wie vor zu den erfolgreichsten Wirtschaftsmächten dieser Welt gehört und seinen Bürgern ein Höchstmaß an Lebensqualität, einschließlich sozialer Sicherheit bietet. Wir dürfen das trotz aller Einschränkungen der Freiheit, des Wettbewerbs oder der Eigenverantwortung nicht vergessen. Das Buch diente im Übrigen auch weniger dem Zweck, mehr Marktwirtschaft zu fordern, als vielmehr den Menschen einmal deutlich zu machen, was wir eigentlich an diesem System haben.
empfohlene-wirtschaftsbuecher: Die Mehrheit der Deutschen steht dem „Kapitalismus“ sehr kritisch gegenüber, obwohl wir alle von der Marktwirtschaft profitieren. Wie erklären Sie sich das?
Chiwitt: Dieser Widerspruch war der Anlass für das Buch. Ursächlich ist in erster Linie die allgemeine Unkenntnis ökonomischer Zusammenhänge, was angesichts ihrer Komplexität allerdings auch verständlich ist. Da bieten sich liebgewordene Vorurteile über die angebliche Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit des Kapitalismus natürlich an. Hinzu kommt eine besondere Eigenschaft des Kapitalismus, die seine Akzeptanz zusätzlich erschwert: Seine Vorteile zeigen sich leise und unmerklich, nämlich in Form stetiger und breit gestreuter Wohlstandssteigerungen, die grundsätzlich alle betreffen. Seine Nachteile hingegen zeigen sich laut und schmerzhaft, nämlich in Form von Konkursen und Entlassungen und den damit verbundenen Einzelschicksalen, was natürlich eine viel größere öffentliche Aufmerksamkeit erregt.
empfohlene-wirtschaftsbuecher: Traditionell hat die Marktwirtschaft besonders bei Intellektuellen nicht viele Freunde – sieht man einmal von Wissenschaftlern wie Hayek oder von Mises ab. Wie kommt es, dass der Antikapitalismus besonders im intellektuellen Milieu viele Anhänger hat?
Chiwitt: Wir verdanken dies vor allem Plato und seinen Philosophenkollegen, die das verhängnisvolle Vorurteil in die Welt setzten, dass persönliches und gesellschaftliches Interesse unvereinbare Gegensätze seien. Sie verachteten die Händler und Kaufleute als gierige und geistlose Krämerseelen, die durch ihren Egoismus das Wohl und die Stabilität der Gemeinschaft bedrohten, obwohl diese den griechischen Gesellschaften ungeheuren Wohlstand bescherten. Eine solche Haltung hat allerdings etwas Verlockendes, vor allem für Menschen, die nicht mit der Bürde des täglichen Broterwerbs belastet sind: Sie dokumentiert sowohl geistig-intellektuelle als auch moralische Überlegenheit. Und manchmal macht sie auch die eigene Erfolglosigkeit etwas erträglicher.
empfohlene-wirtschaftsbuecher: Die Finanzkrise hat zu einer neuen Renaissance des Antikapitalismus geführt. Ist es angesichts der tatsächlich sehr komplexen Ursachen der Finanzkrise, die für einen normalen Bürger nicht verständlich sind, nicht fast unmöglich, gegen einfache Erklärungsmodelle und Schuldzuweisungen („Die Raffgier der Banker und Manager ist schuld“) anzugehen?
Chiwitt: Schwierig ist es zweifellos. Komplexe Erklärungen haben seit jeher einen schweren Stand gegenüber simplen. Darin liegt grundsätzlich eine Gefahr freiheitlicher Systeme. Dass es nicht ganz unmöglich ist, zeigt hoffentlich mein Buch. Im übrigen bin ich – trotz aller Probleme und Rückschläge – relativ optimistisch, dass sich die wirtschaftliche Vernunft auf Dauer in der Welt durchsetzen wird.
Die Besprechung zu diesem Buch finden Sie hier:
Kapitalismus – eine Liebeserklärung. Warum die Marktwirtschaft uns allen nützt, Wiley Verlag, 2010.