Dieses Buch unterscheidet sich wohltuend von vielen anderen „Erfolgs-“ oder „Motivations-Büchern“, in denen oft dieselben Weisheiten wiederholt werden, die man an anderer Stelle auch schon gelesen hat. Zwar werden diese Weisheiten dadurch nicht weniger wichtig und richtig, aber der Leser, der schon viele Bücher dieser Art gelesen hat, wird rasch gelangweilt. Nicht so bei diesem Buch.
Verfasser ist der ehemalige Schwimmer Michael Groß, der dreimal Olympiasieger war, mehrere Weltrekorde aufgestellt hat, viermal zum „Sportler des Jahres“ gewählt wurde und fünfmal Weltmeister war. Heute ist er Unternehmer, und in diesem Buch reflektiert er seine Erfahrungen und stellt seine Lebensphilosophie zur Diskussion.
In den meisten Büchern über Erfolg – so auch in meinem Buch „Setze dir größere Ziele“ – wird die Bedeutung der ausschließlichen oder fast ausschließlichen Fixierung bzw. Fokussierung auf ein Ziel hervorgehoben. Nicht so in diesem Buch. Die Gegenthese des Autors lautet: „Der beste Schutz, vor den eigenen Zielen nicht zu verkrampfen, besteht darin, emotional nicht nur von einem Ziel abhängig zu sein – gerade wenn es materiell ist.“ (S. 36) Ein Schlüsselerlebnis für Groß war das Vorbild des deutschen Schwimmers Klaus Steinbach, dem es gelungen war, das Medizinstudium mit ungewöhnlichen Erfolgen im Schwimmen als Leistungssport zu verbinden. „Mein Motiv, das bis heute lebendig ist, auf zwei Beinen zu stehen, nicht alles auf eine Karte zu setzen und emotional nicht von einer Sache im Leben abhängig zu sein, bekam (durch ihn) die Bestätigung: Es geht, auch im Schwimmen!“ (S. 52)
Groß brach – anders als andere Leistungssportler – die Schule nicht ab, sondern er machte einen Monat vor der Olympiade sein Abitur und verlor auch kein Semester im Studium. „Immer blieb ich meinem Motiv treu, sinnbildlich im Leben auf zwei Beinen zu stehen, was besonders wichtig ist, wenn man materiell von einer Tätigkeit abhängt. Aber zugleich emotional von einer Sache abhängig zu sein, wäre fatal. Zumindest für mich.“ (S. 53). Ich finde: Es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Erfolg könne nicht nur daran gemessen werden, ob man beispielsweise in einem Wettbewerb siege oder unterliege. Das könne von vielen Faktoren abhängen. Einen wichtigen Wettbewerb verlor er beispielsweise nur mit vier Hundertstel Sekunden Abstand – war aber vier Sekunden unter Weltrekord geschwommen (S. 250). Eine Niederlage? Und ebenso, wie man nicht nach jeder Niederlage nach tieferen Gründen zu fragen brauche, so sei es falsch, jeden Sieg einfach als Bestätigung dafür zu nehmen, alles richtig gemacht zu haben und nichts mehr ändern zu müssen. Gerade wenn es gut läuft, so Groß, „hat man die Chance, etwas Neues zu wagen. Aus der Position der Stärke ist es wesentlich leichter, etwas zu unternehmen, als durch äußeren Druck oder das Verfehlen der eigenen Ansprüche, zwanghaft etwas ändern zu wollen.“ (S. 142) Andererseits sei es gerade in dieser Situation emotional schwierig, neue Dinge zu wagen, für Neues offen zu sein. Warum etwas ändern, wenn es bisher funktioniert hat?
Natürlich gibt es keine Erfolgsgarantie. Sympathisch ist die Ehrlichkeit, mit der Groß einräumt: „Ich habe, neben den Projekten, die ich umgesetzt habe, wie mein Unternehmen, zahlreiche Vorhaben angepackt, die schlicht versandet sind oder wo mir etliche Fehler unterlaufen sind. Meine Liste ist lang und länger als die von gelungenen Vorhaben… Der Fehler, der Ihnen dann vielleicht auch schon passiert ist, lautet, zu lange an einem Thema festzuhalten und sich nicht rechtzeitig von einem Vorhaben zu trennen.“ (S. 199) Zu Recht gibt der Autor zu bedenken, wer alle seine Ziele stets erreiche, der setze sich wohl einfach zu kleine Ziele. „Nur wer sich unterfordert, kann die meisten Ziele erreichen.“ (S. 39)
Sehr sympathisch war mir auch, was der Autor zum Thema „Erreichbarkeit“ schreibt. „Niemand ist allein deshalb weniger erfolgreich, attraktiv oder schlau, weil man nicht ständig sein Gerät und damit sich unter Strom hält.“ (S. 238) Er selbst besitze kein Smartphone, sondern nur ein normales Telefon. Die ständige Präsenz sei kontraproduktiv, auch hier kann ich dem Autor uneingeschränkt zustimmen: „So erfordern die dauernden Störungen durch die direkte Mitteilung jeder Kleinigkeit mehr Zeit, um sich wieder auf die Arbeit oder die Aufgabe zu konzentrieren, als die erhoffte Ersparnis durch den schnellen Austausch von Informationen.“ (S. 236)
Groß hat ein kluges Buch geschrieben. Er war und ist zweifellos ein ehrgeiziger Mensch, der Besonderes leisten möchte. Aber – und dies ist als Empfehlung für jeden Leser sicher hilfreich – er kann dabei zugleich eine gewisse Distanz zum eigenen Tun und seiner Wirkung behalten. Also: Ein Buch über Ziele, Motivation und Erfolg, in dem man weit mehr findet als die Wiederholung all der Weisheiten, die man in vielen anderen Büchern auch findet.