Auf welchem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft sind die Erkenntnisse von Forschungen der Behavioral Economics bzw. Behavioral Finance wissenschaftlich am fruchtbarsten?
Die Erkenntnisse der Behavioral Economics sind im Grunde genommen universell einsetzbar, da sie sich damit auseinander setzen, wie Menschen entscheiden. Wo immer es also darum geht, Entscheidungen zu treffen, kann man mit diesem Instrumentarium arbeiten. Allerdings passen diese Ideen nicht in jeder Entscheidungssituation: Die Entscheidungsmechanismen, welche die Behavioral Economics untersuchen, konzentrieren sich vor allem auf schnelle ad-hoc-Entscheidungen, wiederholte Situationen mit oft geringer Relevanz – hier wenden Menschen oft Faustformeln an, sogenannte Heuristiken. Bei großen, wichtigen, nicht-routinemäßigen Entscheidungen hingegen spielen die Werkzeuge der herkömmlichen Entscheidungstheorie die Hauptrolle. Für die wissenschaftliche Einsetzbarkeit der Ideen der Behavioral Economics hinderlich ist allerdings die Tatsache, dass wir in vielen Fällen noch kein konsistentes, in sich geschlossenes Theoriegebäude haben – ein Problem für Aussagefähigkeit von Modellen und Theorien, die auf diesen Ideen basieren.
Sie berichten, dass Fonds, die sich auf „Behavioral Finance“-Ansätze berufen, keinen Mehrertrag generieren konnten. Bringt die Anwendung dieser Erkenntnisse überhaupt etwas für Finanzanleger – und wenn ja, dann was? Können Sie Beispiele von Erkenntnissen nennen, die der einzelne Investor zur besseren Selbstreflexion nutzen kann – um damit ggf. auch bessere Ergebnisse zu erzielen?
Die Erkenntnisse der Behavioral Economics bringen vor allem dem Privatanleger etwas, indem sie ihn lehren, welche mentalen Fallstricke an der Börse auf ihn lauern, sie können also sein grundsätzliches Verhalten verändern. Eine einfache, praktische Idee ist beispielsweise der Vorschlag, ein Investment-Tagebuch zu führen, in dem man seine Investments und seine Erwartungen dokumentiert. Die spätere Lektüre dieses Tagebuchs hilft einem dabei, ein realistischeres Bild von den eigenen Fähigkeiten als Investor und Prognostiker zu bekommen. Weniger geeignet sind die meisten Ideen für eine Investmentstrategie im Sinne einer Einzeltitelauswahl oder konkreten Portfoliozusammenstellung. Zwar gibt es auch hier Ideen, aber langfristig glaube ich nicht, dass man in der Breite damit Geld verdienen kann. Erfahrungen mit sogenannten Anomalien an der Börse – also scheinbar systematischen Bewertungsfehlern – zeigen zudem, dass diese Anomalien zumeist verschwinden, wenn sie bekannt werden – was für effiziente Kapitalmärkte spricht.
Mir fällt auf, dass es für die Aktien- und Anleihemärkte zwar zahlreiche Forschungen mit diesem Ansatz gibt, nicht jedoch für den Immobilienmarkt. Dabei könnte ich mir vorstellen, dass die Erkenntnisse hier sogar mehr Nutzen stiften, weil die Zeit, bis sich ein Investment als falsch erweist, meist sehr viel länger ist als bei Wertpapieren und daher die Wahrscheinlichkeit von Lerneffekten bei den Akteuren geringer. Kennen Sie interessante Forschungen zu den professionellen Immobilienmärkten, die Behavioral Economics-Ansätze nutzen?
Die Literatur beschäftigt sich hier vor allem mit Problemen bei der Bewertung von Immobilien, beispielsweise dass die Kenntnis des Preises die Bewertung beeinflussen kann, aber auch der psychologische Kontext einer Kaufentscheidung – Sentiment, Herdenverhalten, geändertes Risikoverhalten – werden untersucht. Schwer, hier einzelne Papiere hervorzuheben, statt dessen vielleicht ein Papier, das es noch zu schreiben gilt: Immobilieninvestments sind im Gegensatz zu täglichen, ja stündlichen Wertpapierinvestments, große, wichtige, oft nicht-routinemäßige Entscheidungen. Wenn dies so ist – spielen dann die Ideen der Behavioral Economics, die vor allem auf standardisierte, oft wiederholte Entscheidungen angewendet werden, hier überhaupt eine Rolle? Der Kauf einer Immobilie unterscheidet sich doch deutlich vom Kauf einer Aktie. Können wir also die Ideen der Behavioral Economics einfach übertragen? Eine spannende Frage.
Lesen Sie hier die Besprechung des Buchs „Behavioral Economics“