Johann König ist wohl weltweit der einzige Galerist, der blind war, als er seine erste Galerie eröffnete. Und er ist nicht nur in Deutschland einer der bekanntesten Galeristen, sondern er ist heute einer der bedeutendsten Galeristen der Welt. Die FAZ bezeichnete ihn als „Popstar unter den deutschen Galeristen“. Zudem ist er ein begnadeter Selbstvermarkter, und dies ist durchaus positiv gemeint. Zu viele Künstler scheitern deshalb, weil sie glauben, gute Kunst setze sich von alleine durch und die Bedeutung des Marketings nicht verstehen. Dies gilt erst recht für Galeristen. König hat bewiesen, dass er es versteht, Künstler bekannt zu machen – und damit deren Marktwert erheblich erhöhen. Er profitiert davon, wenn seine Künstler bekannter werden, aber sie profitieren auch von seiner Bekanntheit.
Andere Künstler, die eine Behinderung haben, sprechen nicht gerne darüber. Wer etwa den blinden Musiker Andrea Bocelli interviewen will, bekommt von seinen Presseleuten vorher bereits deutlich mitgeteilt, Fragen zu seiner Blindheit seien unerwünscht. Liest man Biografien von erfolgreichen Menschen mit Behinderung, so wird man immer wieder finden, dass sie sich ärgern, wenn Journalisten dies zum Thema machen, weil sie den Eindruck haben, es werde zu viel über ihre Behinderung und zu wenig über ihre Leistung geschrieben.
König ist pragmatischer, er versteht die Gesetze der Medienwelt, sonst wäre er nicht so erfolgreich. Als er das Logo für seine erste Galerie entwarf, entschied er sich für eines, das so verschwommen war, dass man fast nichts erkennen konnte und schaltete die Anzeige in der Zeitschrift „Texte zur Kunst“: „Das war mein erster Umgang mit meinem Leben als Galerist mit Sehbehinderung.“ (S. 89)
Johann König wurde am 22. Juli 1981 in Köln geboren. Er kommt aus einer Künstlerfamilie – der Vater Kasper König war Kurator und Kunstprofessor. Im Alter von 18 Jahren hatte er einen schweren Unfall: Als er die Schwarzpulverkügelchen aus der Patrone einer Startschusspistole in eine Dose einsortieren wollte, explodierte sie. Die Explosion hatte seine Augen fast komplett zerstört und er war fast blind. In beiden Augen hatte er von nun an keine Pupille, keine Linse und keine Regenbogenhaut mehr. In den nächsten Jahren musste er mehr als 30 Mal operiert werden – zum Beispiel Hauttransplantationen für beide Hände, Laseroperationen an der Netzhaut, Operationen für die Stabilisierung des Augeninnendrucks, mehrere Hornhauttransplantationen.
Er ging in Marburg auf eine Blindenschule. Der Kontakt mit Jugendlichen, die ähnliche Probleme hatten, half ihm, den Unfall psychisch aufzuarbeiten. Vor allem lernte er, sich bestimmte Fragen nicht mehr zu stellen: „Was wäre, wenn ich nicht mit den Sprengstoffkügelchen gespielt hätte? Warum waren meine Eltern nicht strenger gewesen? Hätte man besser auf mich aufpassen müssen? Warum ist das den anderen Jungs, die mit den Startschusspistolen gespielt haben, nicht passiert?“ (S. 68) Solche Fragen, die auf vergangene Ereignisse zielen, welche man ohnehin nicht mehr ändern kann, bringen natürlich überhaupt nichts – sie sind Vergangenheits- statt Gegenwarts- und Zukunftsorientiert.
In der Schule hatte ein Lehrer sein Interesse an der zeitgenössischen Kunst geweckt. Er wäre wohl gerne Künstler geworden, doch das schien ihm wegen seiner Blindheit kaum möglich. So entschloss er sich schon in seiner Schulzeit, eine Galerie zu gründen.
Seine erste Ausstellung erwies sich als totaler Flop: Wenige Besucher, nichts verkauft, keine Presseberichterstattung. Danach brach er zusammen und heulte, aber er rappelte sich rasch wieder auf. Von Anfang an verstand er, dass es im Marketing vor allem darum geht, anders zu sein, nicht das Gleiche zu tun wie andere. Man nennt das Positionierung. König ist ein Positionierungsexperte – er weiß, wie man Künstler positioniert, aber er weiß auch, wie man sich selbst positioniert.
Da König kaum sehen konnte, war die Ausstellung von Malerei zunächst kein Thema für ihn. Die Blindheit erwies sich als Vorteil, denn er musste umso kreativer sein. Er setzte alles auf eine Karte mit der Ausstellung einer Stahlkugel, die sich bewegte, wenn die Eingangstür in der Galerie aufging und jemand den Raum betrat. Nun rollte die massive Kugel geradeaus – bis sie mit Wucht immer wieder an eine der Wände schlug und den Raum massiv beschädigte. Um eine solche Idee umzusetzen, braucht man keine Sehkraft, sondern Vorstellungskraft.
Die Ausstellung war ein Erfolg, und König ließ es alle wissen. Er fügt hinzu, damals habe seine Angewohnheit ihren Anfang genommen, die „wesentlich ist, wenn man sich auf dem Kunstmarkt behaupten möchte: Eine ausgeprägte Kommunikation der eigenen Erfolge und der Erfolge der vertretenen Künstler – man könnte es durchaus auch ‚Angeberei’ nennen – ist eines der zentralen Standbeine des Geschäfts. Ich beherrsche das inzwischen sehr gut und wahrscheinlich besser als viele andere.“ (S. 110 f.)
Wie erwähnt, unterzog er sich immer wieder neuen Operationen. Nach einer Hornhauttransplantation, die im Frühjahr 2008 nach einer neuen Methode durchgeführt wurde, geschah das Wunder – heute kann er wieder zwischen 30 und 40 Prozent sehen. Nun konnte er auch beginnen, mit Künstlern zusammenzuarbeiten, in deren Werken das Visuelle stärker im Vordergrund stand, so etwa mit Katharina Grosse. Seine Galerie gewann international eine immer größere Reputation, und es hatte sich auch gezeigt, dass er mit Berlin auf genau den richtigen Standort gesetzt hatte.
König hat es verstanden, aus seinem Nachteil – der Sehbehinderung – sogar einen Vorteil zu machen. „Paradoxerweise ist es wahrscheinlich so, dass meine Sehbehinderung an meinem Erfolg einen nicht unwesentlichen Anteil hat.“ Die innere Konzentration und Wahrnehmungssteigering, die durch die Kompensation von schlechtem Sehen hervorgerufen wird, habe ihm geholfen, „das zu definieren, was ich ganz persönlich unter Kunst verstehe“. (S. 113)
Königs Geschichte zeigt: Was wirklich zählt im Leben, ist nicht das, was man sieht, sondern das, was man heute noch nicht sieht, also Ideen. „Fantasie ist die Gabe, unsichtbare Dinge zu sehen“, schrieb der irische Essayist Jonathan Swift. Und als König in einem Interview gefragt wurde, wie es überhaupt möglich sei, als Blinder eine Galerie zu führen, antwortete er: „Als Galerist hat man keine Kunsthandlung, man vertritt Künstler, die ihre Werke erst schaffen und die man als Sparringpartner in der Ideenfindung begleitet. Am Anfang ist da eh nichts zu sehen.“